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Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
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einmal in dieses verdammte Zimmer und diesem verdammten Arzt in die Augen sehen. Kurz hoffte ich, dass er die nachfolgenden Termine absagen würde, nur um mir zu entgehen. Wahrscheinlich aber war ihm das nicht möglich, ohne seinen Vorgesetzten von mir zu erzählen.
    Als er seine Tür wieder öffnete, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Er sah auf den Boden, als ich an ihm vorbei in den Raum stampfte.
    »Hanna«, begann er zögernd.
    »Sparen Sie sich Ihren Dreck«, fuhr ich ihm dazwischen. »Sagen Sie mir einfach, wo Sie sie hingebracht haben. Ich will zu ihr. Bitte.«
    Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und wirkte tatsächlich entkräftet. »Ich ... das würde ich ja gerne«, sagte er leise. »Glauben Sie mir. Ich würde gerne diesen Arschkriechern eins auswischen, sie alle in der Hölle verrotten lassen, sie bekämpfen, was auch immer ... Glauben Sie mir! Aber das kann ich nicht. Es liegt nicht in meiner Macht. Das ist ... Sie verstehen das noch nicht. Sie sind ganz neu hier. Und ich kann nachvollziehen, dass Sie wütend sind ...«
    »Wütend?« Ich trat einen Schritt auf ihn zu. »Oh ja, das bin ich. Und wissen Sie was, ich bin es, seitdem ich hier eingetroffen bin. Ich verstehe den Sinn dieses Ortes nicht, ich verstehe die Scheißregeln nicht, mich kotzt das alles an. Und ich will weg. Haben Sie gehört? Tun Sie was, damit ich weg kann.«
    »Ich?« Er sah mich gequält an. »Was kann ich denn tun?«
    »Ich weiß es nicht«, fauchte ich. »Sie sagen ja, dass Sie lange dabei sind und was weiß ich. Sie kennen sich hier aus. Sagen Sie mir, wie ich hier verschwinden kann. Wie ich ins Licht gehen kann oder was auch immer.«
    Doktor Aurelian P. stöhnte und wirkte plötzlich viel älter. »Ach, ich kann nicht. Es tut mir leid.«
    Sein trauriger Blick machte mich nur rasender. »Was passiert mit ihr?! Warum ist sie krank?! Sagen Sie es mir und schauen Sie mich nicht so an!«, verlangte ich von ihm.
    »Wollen Sie wirklich eine Erklärung?«
    »JAA!« Wie oft sollte ich es ihm denn noch sagen?!
    Er überlegte sorgfältig, ehe er mir antwortete: »Wissen Sie, es gibt Überführer, die sind schon bei ihrer Ankunft abgestumpft – so würden das die Lebenden sicherlich ausdrücken. Es gibt jedoch gewisse Ausnahmen, die eine Sehnsucht-zurück bilden – so nenne ich das von mir beobachtete Phänomen, auch wenn es nicht besonders innovativ klingt. Sie erinnern sich. Manchmal nur an Gefühle, Ereignisse. Und dann gibt es diejenigen, die sich an alles – stellen Sie sich das mal vor, an ALLES – erinnern. An jede kleine Begebenheit ihres Lebens. Und das ist noch nicht einmal alles. Ihre Erinnerungen sind verstärkt, sogar Lebende können nie dermaßen klar zurückdenken. Jeder Moment ihrer Vergangenheit ist ihnen bewusst, das verursacht ihr Fieber.« Er seufzte. »Und mit diesem Fieber ist es ihnen nicht möglich, ihrer Aufgabe nachzukommen. Die Emotionen überwältigen sie so sehr, dass sie zurück möchten. Zu ihren Familienangehörigen, Freunden. Doch gleichzeitig baut dieses Fieber eine Mauer um sie herum auf, aus der sie nicht ausbrechen können. Sie bleiben irgendwo dazwischen, verlieren sich. Daher müssen wir so schnell wie möglich eingreifen. Nur gesunde Überführer sind für unsere Anstalt von Bedeutung.«
    »Gesunde Überführer?« Ich lachte verbittert auf. Bisher waren sie mir alle unheilbar krank vorgekommen.
    Er zuckte mit den Schultern und sagte mit vorsichtiger Stimme: »Nun muss ich Sie bitten, Ihre Kleidung abzulegen, damit ich Sie untersuchen kann.«
    »Was?« Nun schrie ich unbeherrscht. »Sie wollen mich untersuchen? Glauben Sie, das lasse ich zu, nach dem, was Sie mit Mia getan haben?«
    »Vielleicht«, krächzte er heiser, »haben Sie das Fieber auch. Es wäre gut möglich. Es wäre besser, wenn ich das wüsste. Und behandeln könnte.«
    »So wie Sie Mia behandelt haben?«
    Wieder seufzte er und kam nun auf mich zu. Ich trat mehrere Schritte zurück, bis ich mit dem Rücken an der Wand stand.
    So schnell, dass ich nichts dagegen ausrichten konnte, hob er seine Hand und legte sie auf meine Stirn.
    »Wollen Sie mir nun auch einige Haare ausreißen? So wie Ihr Kollege?«, zischte ich.
    »Wie mein Kollege?«, stammelte er verwirrt. »Was meinen Sie damit?«
    »Nummer Fünf hat mir –«
    »Haare ausgerissen?«, beendete er meinen Satz und lief hochrot an. »Nein, das kann nicht sein.« Er kniff die Augen zusammen und sah mich prüfend an. »Haben Sie Visionen,

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