Nuerburghoelle
Glück haben, in dieser Idylle zu leben, Holz zu schlagen und am Kaminofen zu sitzen? Er schüttelte sich und betrachtete seine Frau, die Getränke aufgetischt hatte. Seine ursprüngliche Idee, mit den Gästen aus Düren einen kleinen Spaziergang durch sein Buchendorf, wie er Huppenbroich gerne bezeichnete, zu machen, hatte er verworfen. Es bereitete ihn heute zu viel Mühe, eine längere Strecke zu gehen. Da war es ihm lieber, wenn sie es sich in dem von der mannshohen Buchenhecke blickgeschützten und windfreien Garten bequem machten.
Böhnke hatte sich von Bahn den Originalbrief mitbringen lassen, wenn überhaupt von einem Original die Rede sein konnte, denn es schien sich bei dem Drohbrief auch um eine Kopie zu handeln. In schwarzen Druckbuchstaben war in gängiger Computerschrift auf weißem Standardpapier der bedrohlich wirkende Satz geschrieben worden.
»Wenn wir mal ausschließen, dass ich mir wirklich nicht aus Jux und Dollerei diesen Brief zugeschickt habe«, sagte Bahn leicht angesäuert, »können und müssen wir wohl davon ausgehen, dass der Verfasser dieses Schwachsinns alles versucht hat, um Rückschlüsse auf ihn zu verhindern.«
Böhnke ließ den Journalisten reden.
»Der Arsch hat mir doch nicht ohne Grund wenige Tage vor den Rennen auf dem Nürburgring den Brief zugeschickt. Der wollte mich verunsichern. Und das ›Fahr zur Hölle‹ ist ja wohl ein nicht zu verkennender Hinweis auf die ›grüne Hölle‹. Aber da hat er sich geschnitten. Ich lasse mich doch nicht von jedem Hansel fremdbestimmen und verhalte mich so, wie er es will.«
Bahns Sätze warfen mehr Fragen auf, als Böhnke stellen konnte: Warum warnte ein Attentäter vor? Hätte er nicht, wenn er es tatsächlich ernst meinte, geschwiegen? Warum war Bahn, wenn er glaubte, gewarnt worden zu sein, doch noch gefahren und hatte damit nicht nur sich, sondern eventuell auch andere in Gefahr gebracht? War Bahn mit dem Drohbrief zur Polizei gegangen? Hatte er seine Teamkollegen eingeweiht? Hatte er schon vorher Drohungen erhalten?
Selbstverständlich, so fuhr Bahn fort, hatte er den Brief der Polizei gezeigt, doch habe man ihm nicht sonderlich große Bedeutung beigemessen. Die Drohung sei doch sehr vage, hatten ihm die Polizisten in Düren gesagt, und überhaupt: Was hieße das schon ›Fahr zur Hölle‹? Daraus einen Zusammenhang zur grünen Hölle Nürburgring herzustellen, sei sehr abwegig.
Drohungen habe er schon häufiger erhalten, meistens als anonyme Anrufe, räumte Bahn ein, und meistens, nein, immer seien sie nicht mehr als schwachsinnige Gebärden gewesen.
»Aber jetzt gibt es eine andere Dimension«, sagte Bahn ungehalten. »Jetzt hat einer tatsächlich auf mich geschossen und wollte mich tatsächlich töten.«
»Wollte er tatsächlich Sie töten?« Lieselotte stellte die Zwischenfrage, die Böhnke gestellt haben wollte.
»Haben Sie eine andere Erklärung?«, antwortete Bahn mit einer Gegenfrage. »Meine Kollegen wurden nicht vorher bedroht. Die Schüsse galten eindeutig mir. Und das arme Schwein, das mich überholt hatte, musste nur deshalb dran glauben, weil er mich zum falschen Zeitpunkt oder am falschen Ort überholte.«
Er lachte verbittert auf. »Aber mir will einfach keiner glauben. Die Polizei selbst steht ja auf dem Standpunkt, es habe gar keine Schüsse gegeben. Die gehen immer noch von einem Rennunfall aus.«
Wie er zu diesem Wissen komme, mischte sich Böhnke erstaunt ein.
»Ich habe eben mit Siggi telefoniert.«
Während des Essens bemerkte Gisela tadelnd: »Der kann nicht ohne sein Handy sein. Der wird selbst noch im Sarg telefonieren, wenn ich ihm das Telefon nicht vorher abnehme.«
Unwirsch winkte Bahn ab. »Siggi hat heute vor ein paar Stunden noch einmal mit der Polizei am Nürburgring gesprochen. Die haben anscheinend keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich nicht um einen Rennunfall gehandelt haben könnte.«
»Und damit stehen Sie jetzt ganz allein auf der Welt mit der Meinung, Sie sollten abgeschossen werden?« Böhnke runzelte nachdenklich die Stirn und kratzte sich am Kopf. »Es gibt nicht gerade viele Anhaltspunkte für Ihre These: Sie haben einen Drohbrief erhalten und Sie glauben, es sei auf Sie geschossen worden.« Er sei skeptisch, bekannte er. »Meine Kollegen am Nürburgring oder im zuständigen Kommissariat werden wohl wenig Veranlassung sehen, auf Ihre Behauptung einzugehen.« Er hob abwehrend die Hände. »Aber das ist deren Sache. Ich bin erstens nicht zuständig und zweitens
Weitere Kostenlose Bücher