Nuhr, Dieter
Nähe, meistens
draußen auf dem Klinikbalkon, wo er sich noch eine Kippe reinzieht. Letztens
habe ich so eine Art Hitliste der beliebtesten Todesarten in die Finger
bekommen, und da haben mich doch einige Dinge überrascht: An Alkoholvergiftung
beispielsweise stirbt bei uns nur jeder Zehn tausendste. Wer hätte das
gedacht? Ich meine, schauen Sie sich doch mal um in Ihrem Bekanntenkreis, da
gibt es doch einige, denen man nicht glauben möchte, dass die puterrote Nase
vom Bluthochdruck herrührt. Es gibt ja viele Menschen, die den Tag bereits mit
einem Flachmännchen Cognac einläuten, weil sie sonst das Skalpell gar nicht
ruhig halten können.
Dass es da so wenige aufgrund akuter Alkoholvergiftung erwischt,
fand ich erstaunlich, weil ich mich an zahlreiche Feiern erinnere, bei denen
ich selber überrascht war, überlebt zu haben. Teilweise bin ich auch aufgewacht
und war gar nicht sicher, ob ich noch lebte. Und nach der Grundschule wurde es
noch schlimmer. Damals war man dem Alkohol gegenüber weit weniger kritisch als
heute. Unsere Klassenfahrten waren die reinsten Alkoholexzesse, die nur deshalb
keine disziplinarischen Folgen hatten, weil unser Lateinlehrer immer noch einen
Tick betrunkener war als wir. Aber in der Tat: Am Ende haben immer alle
überlebt, wahrscheinlich, weil kein Arzt in der Nähe war.
Die fünfthäufigste Todesursache bei uns ist übrigens der
Suizid. Das empfand ich schon als eine überraschend hohe Zahl. Dass sich so
viele Leute vom Tod bessere Lebensumstände versprechen, ist erstaunlich.
Einige beenden ihr Leben dabei auf besonders unangenehme Weise. Die fahren dann
auf der Gegenspur oder sprengen sich in die Luft. Ein solches Verhalten
kennzeichnet den Betreffenden noch im Nachhinein als Drecksack, was meines
Erachtens in Nachrufen viel zu wenig gewürdigt wird. Viel zu selten liest man
in Todesanzeigen Sätze wie: »Er war ein Mistkerl - und so ist er auch
abgetreten!«
Überhaupt wird nirgendwo so viel gelogen wie in Todesanzeigen.
Sonst kämen dort viel öfter Wendungen vor wie »endlich«, »glücklicherweise«,
»nach langem Warten« oder »Es freuen sich: Wirtin Hilde und alle Stammgäste des
Roten Ochsen!«.
Erstaunlich fand ich auch Folgendes: Die Chance zu ertrinken
ist fünfmal so hoch, wie bei einem Fahrradunfall ums Leben zu kommen. Wenn Sie
also Fahrrad fahren, vergessen Sie den Sturzhelm, nehmen Sie lieber
Schwimmflügelchen!
Geister 19.
September 2006
Neulich war ich in Sambia. Und der Sambier oder Sambese
oder Sambianolesier - so genau weiß ich auch nicht, wie er sich nennt - macht
durchaus komische Sachen. Beispielsweise besitzt er Figuren, über die er
Hühnerblut gießt, womit er sich den Beistand der Geister zu erkaufen glaubt.
Wozu oder ob die Geister Hühnerblut gebrauchen können, kann ich nicht beurteilen,
ich kenne keine Geister und weiß deshalb auch nicht, was sie so in ihrer
Freizeit machen. Vielleicht reiben sich Geister wirklich im Jenseits mit
Hühnerblut ein. Keine Ahnung! Aber für wahrscheinlich halte ich das nicht. Der
Afrikaner schon.
Angeblich bringen schlechte Geister sogar Tod und Verdammnis.
Mit Voodoo etwa soll man ja jemandem Schaden zufügen können, ohne dass
irgendeine Versicherung nachher Regressansprüche stellen könnte. Man nimmt ein
Haar, klebt es auf so eine Figur, piekt hinein, reißt ein Ärmchen ab oder baut
eine Bienenwabe ein. Der vormalige Besitzer dieses einen kleinen Haares soll
dann das Zeitliche segnen. Natürlich glaube ich an so etwas nicht. Trotzdem
würde ich in solchen Gegenden lieber ein Haarnetz tragen. Das klingt ja doch
reichlich unheimlich.
Der Glaube an Phänomene wie Hexerei oder Voodoo hat
natürlich Vorteile. Wenn man in Sambia ein Einzelhandelsgeschäft besitzt,
braucht man keine Alarmanlage, da reicht ein kleiner Hinweis: »Ware ist durch
Hexenfluch geschützt!« Und niemals würde es jemand wagen, etwas zu klauen - von
Touristen mal abgesehen. Die stopfen sich die Taschen voll, lachen sich kaputt
und sterben dann Wochen später an bislang unbekannten Krankheiten.
In Teilen Afrikas funktioniert die komplette Bekämpfung
krimineller Eigentumsdelikte auf magischer Basis. Man ärgert sich über den
Diebstahl, bestellt einen »Zauberer«, der sich im Dorfzentrum in Trance tanzt
und öffentlich ausruft, ein besonders schwerer Fluch solle den Dieb und seine
Familie heimsuchen, falls das Diebesgut nicht bis zum Abend wieder auftauche.
Spätestens um drei liegt alles unversehrt auf dem Marktplatz.
Ich glaube
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