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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Herzschlag mischte, und sie dachte: Ich wollte, du wärst hier.
    »Wenn du willst, könnte ich … Soll ich nicht zu dir kommen?«, sagte er. »Ich könnte gleich morgen früh die erste Maschine nehmen …«
    »Nein, tu das nicht«, fiel sie ihm ins Wort. Ich wollte, du wärst hier, aber ich kann nicht auch noch auf dich aufpassen. »Es ist zu gefährlich. Es reicht, dass sie hinter mir und Anni her sind.«
    »Wer ist hinter dir her?«
    »Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete sie und dachte: Ich klinge schon wie Annis unheimlicher Patient.
    »Du machst mir Angst«, sagte Julian. »Warum wendest du dich nicht an die Polizei? Oder an jemanden von unserer Botschaft?«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich stehe in Kontakt mit der Polizei.«
    »Du änderst dich wohl gar nicht mehr«, sagte er, aber es klang nicht wie ein Vorwurf; es klang fast zärtlich.
    »Das kommt dir nur so vor«, sagte sie. »Wenn das hier vorbei ist …« Sie unterbrach sich und hielt einen Moment inne. »Wie geht es Shirin?«, fragte sie dann.
    Kurz herrschte Schweigen am anderen Ende. Sie glaubte, einen Unterton von Enttäuschung mitschwingen zu hören, als er antwortet: »Sie macht Fortschritte. Sie ist jetzt wach, liegt auf der Kinderstation und fragt dauernd, wann sie wieder schwimmen gehen kann. Sie hat auch schon ein paarmal nach dir gefragt. Ihre Schwester erzählt ihr die ganze Zeit von dir. Auf die hast du ziemlichen Eindruck gemacht.«
    Ella gab sich einen Ruck. »Weißt du, Julian, wenn das alles vorbei ist, möchte ich gern verreisen. Ich möchte eine lange Reise machen.«
    »Hört sich gut an. Wohin?«
    »Irgendwohin ans Meer. Ich musste gerade daran denken, wie ich einmal in der Nordsee schwimmen war, ganz früh am Morgen an einem herrlichen Sommertag. Ich bin immer weiter hinausgeschwommen, alles um mich herum war blau und golden, und mitten in dem ganzen Blau schwebte ich mit der Dünung auf und ab. Auf einmal kam ein ganzer Trupp Delfine auf mich zu. Stell dir das mal vor, in der Nordsee! Sie sprangen aus dem Wasser und wieder rein und wieder raus, und sie waren unheimlich groß, viel größer, als ich gedacht hatte. Ich kriegte richtig Angst, aber sie schienen nur zu lachen, sie spritzten mich mit salzigem Schaum voll und schwammen um mich herum wie bei einem Kinderspiel, und plötzlich dachte ich, was für ein wundervolles Erlebnis. Wie herrlich! Nach einer Weile zogen sie dann davon, hinaus auf die offene See, wo sie immer kleiner wurden und nur noch ein paarmal sprangen. Ich machte auch kehrt, und die ganze Zeit während ich zurückschwamm, war ich richtig glücklich. Und ich dachte, glücklicher werde ich wohl nie sein.«
    »Und – stimmte das?«, fragte Julian.
    »Fast.«
    »Vielleicht gibt es verschiedene Arten von Glücklichsein«, sagte er sanft.
    Auf einmal, heftig wie ein unerwarteter Schmerz, verspürte Ella einen Heißhunger auf Glück, den jähen Wunsch, wieder lachen zu können, keine Angst haben zu müssen. Doch dann riss sie sich zusammen.
    »Ich muss jetzt Schluss machen,« sagte sie hastig. »Wir sprechen uns, wenn ich zurück bin, ja?«
    »Dann beeil dich. Und sei vorsichtig, ich will dich lebend zurückhaben!«
    »Ich gebe mir alle Mühe«, sagte sie. Sie unterbrach die Verbindung und dachte: Wenn du mich wirklich liebst, kommst du trotzdem.
    Noch während des Telefonats war ihr etwas eingefallen. Sie musste an Annis Telefonat mit ihrem Bekannten denken. Ken.
    Wer, verdammt nochmal, ist Ken?
    Vor ihrem fluchtartigen Aufbruch aus Cassidys Wohnung hatte sie in Annis iBook nach dem Namen gesucht, ohne Ergebnis. Sie hatte auch die anderen Gegenstände aus Annis Praxis nach einem Adressbuch durchwühlt, genauso ohne Ergebnis.
    Wer ist Ken? Wen hat Anni angerufen, nachdem sie Colin Blain rausgeschmissen hatte? An wen hat sie sich gewandt? An wen wendet man sich um Hilfe oder Rat, wenn man etwas gehört hat, das einen in panische Angst versetzt?
    Und jetzt fiel es ihr ein, etwas, das bei ihrem Gespräch mit Tori Farrow zur Sprache gekommen war. Könnte sie mit jemand anderem darüber geredet haben?, hatte sie gefragt, und Tori hatte geantwortet: Mit Dr. Gershenson vielleicht – Kenneth –, zu dem ging sie selbst einmal im Monat. Er war so etwas wie ein Beichtvater für sie.
    Natürlich, jeder Therapeut hatte einen Supervisor, zu dem er in regelmäßigen Abständen ging, um mit seiner Hilfe die eigene Psyche aufzuräumen. Ella griff nach ihrem Smartphone, um Kenneth Gershenson zu googeln, schreckte dann jedoch davor

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