Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
war, dann fühlte er sich einfach geborgen. Je weniger Menschen mit uns darin waren, desto besser. Eine halbe Stunde über der Erde, ganz früh, wenn noch kein Betrieb war. Wenn er gewusst hätte, dass Dr. Jansen von Colin Blain erfahren hatte …«
    »Was hat das mit Colin Blain zu tun?«, fiel Cassidy ihm ins Wort. Er lehnte mit dem Rücken an der Haltestange, die um den Innenraum der Kapsel führte, und beobachtete Gershenson misstrauisch. Auch seine Hände steckten in den Jackentaschen.
    »Er wollte es in die Luft sprengen«, sagte der Professor. Er wandte sich ab, sah hinunter auf das silberne Band der Themse, das in einem großen Bogen an den Jubilee Gardens vorbeifloss. »Er wollte eine Bombe zünden und möglichst viele Passagiere mit sich in den Tod nehmen.«
    Cassidys Miene wurde hart, die geröteten Wangen verloren Farbe. »Woher wissen Sie das?«
    »Von Anni.«
    »Wann hat sie Ihnen das gesagt?«
    »Nach ihrem Besuch in Blains Atelier.«
    »Gestern Abend haben Sie behauptet, danach hätten Sie nie wieder etwas von ihr gehört!«, sagte Ella überrascht. Auf einmal kam ihr ein Gedanke, der so unwahrscheinlich schien, dass sie ihn sofort von sich wies. Nein, dachte sie, das ist Blödsinn, das kann nicht sein. Aber der Gedanke ließ sich nicht verdrängen.
    Gershensons Schultern sanken vor wie unter einer schweren Last. »Gestern Abend dachte ich noch, es gäbe einen leichteren Weg als die Wahrheit. Aber jetzt weiß ich, dass es diesen Weg nicht gibt.« Er trat einen Schritt zur Seite und setzte sich auf die Bank in der Mitte der Gondel. Da, wo er gestanden hatte, öffnete sich der Blick immer weiter, je höher die Gondel stieg, bis zum Buckingham Palace und den Hochhäusern der City, deren erleuchtete Fenster wie Goldregen fielen, eingebettet in die Lichter der Stadt.
    »Was geschah in Colin Blains Atelier?«, fragte Ella. »Was hat Anni Ihnen erzählt?« Er ist es, dachte sie; er sitzt vor uns, und er hat uns in eine Falle gelockt.
    »Sie war hingegangen, um zu erfahren, ob er sie nicht belogen hatte«, antwortete Gershenson. »Sie hoffte so sehr, dass es so war, dass es sich um eine Lüge handelte. Dass jemand das Netzwerk benutzt, um Menschen zu Mördern zu machen, musste eine Lüge sein. Wie er vorgeht, um dieses Ziel zu erreichen, und warum er das tut und für wen … Sie hätte alles dafür getan, dass es so war, alles eine einzige Lüge. Das wollte sie hören, doch ihre Hoffnungen wurden enttäuscht, denn Colin Blain war einer dieser Menschen. Einer dieser Mordroboter. Und da wusste sie, dass sie einen Blick in die Hölle geworfen hatte.«
    »Und wie sah sie konkret aus, diese Hölle?«, fragte Cassidy.
    »Wie ein Maleratelier, in dem jemand einen Sprengsatz zusammenbastelt«, erklärte der Professor in einem Tonfall, als erwähne er eine kleine, aber nicht unbedeutende Zutat für ein gelungenes Rezept. »Zuerst verstand Annika nicht, was sie sah. Sie dachte, er arbeite an einer Installation oder dergleichen. Sie erinnerte sich an seine Übermalung von Goyas Saturn und wusste, dass er versuchte, sein ungeheures Gewaltpotential in künstlerische Bahnen zu lenken. Fotos vom London Eye an einer Pinnwand, eine Art Bauplan des Riesenrads. Dahinter – direkt von seinem Computer mit einem Diaprojektor auf die Wand geworfen – eine Darstellung des Sonnensystems, wobei die Sonne deckungsgleich mit der Radnabe war und die Gondeln sie wie Sterne umkreisten. Bloß dass zwei der Sterne, ganz außen, Daten trugen und Städtenamen. Wie gesagt, zuerst verstand sie nicht, was sie sah, erst später, nachdem Blain sich vor ihren Augen umgebracht und sie einen Blick auf sein Handy geworfen hatte, als das Grauen in ihrer Seele Einzug gehalten hatte … Später, in ihrer Praxis, hat sie versucht, das Diagramm zu rekonstruieren, und da wurde ihr klar, um was es sich handelte, um was für einen Plan, und dass er die Wahrheit gesagt hatte und sie sich verstecken musste. So schnell wie möglich.«
    »Er hat sich vor ihren Augen umgebracht?«, fragte Ella. »Wie? Warum?«
    Gershenson blinzelte, als wäre ihm etwas ins Auge geraten. »Warum? Weil sie reden konnte. Weil sie ein Mensch ist. Weil sie ahnte, was sie noch nicht wusste. Weil sie in seine Seele schaute, seine kranke Seele, weil sie versuchen würde, sie zu heilen. Weil sie den Plan des Teufels durchkreuzen wollte. Gerade hatte ihr Patient ihr gesagt, was er vorhatte, da kam ein Anruf. Blain schaute auf das Display seines Handys, und eine Veränderung ging mit ihm

Weitere Kostenlose Bücher