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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Firmaments mit einer eigenen Milchstraße voll funkelnder Sterne. »Wie viele von ihnen es wohl da unten gibt?«, sagte Gershenson leise. »In Amerika können von den mittlerweile in die Hunderttausende gehenden Heimkehrern aus den Kriegen im Irak und Afghanistan nur die Hälfte thera peutisch betreut werden, jeder achte bringt sich um. Andere werden zu Amokläufern, töten Familienmitglieder oder völlig Fremde. Warum also nicht Leute, die ihnen von ihren letzten verbliebenen Freunden in ihrem Netzwerk vorgeschlagen werden? Sie haben die und die getötet, es könnte Ihnen auch gefallen, diesen oder jenen zu töten. Bitte drücken Sie den Like -Button.«
    »Wer steckt hinter der Academy?«, fragte Cassidy.
    Gershenson antwortete mit einem angedeuteten Zucken der eingefallenen Schultern.
    Er, dachte Ella, er.
    »Wer?«, hakte Cassidy nach.
    »Können Sie sich das nicht denken?«, fragte der Professor.
    »Sie?«, fragte Cassidy, und seine rechte Hand schob sich unter die Lederjacke.
    Aber Gershenson war schneller. Er zog die rechte Hand aus der Manteltasche, und das, was Ella für eine Faust gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein kurzläufiger Trommelrevolver. »Nicht bewegen, Detective, bitte!«, sagte er. Er stand auf, die Mündung des Revolvers auf Cassidys Brust gerichtet. »Legen Sie Ihre Waffe langsam auf den Gondelboden und geben Sie mir Ihre Handys. Da, auf die Bank, bitte!«
    Er sah zu, wie Cassidy schweigend, aber mit zornfunkelnden Augen erst seine Dienstwaffe aus dem Schulterholster zog und auf den Boden legte, dann das Handy daneben. Die Mündung des Revolvers schwenkte zu Ella. »Und Ihr Handy auch! Haben Sie auch eine Pistole oder dergleichen?«
    »Nein.«
    Die Gondel war fast im Zenit ihrer Umlaufbahn angekommen und schwebte einen Moment lang auf gleicher Höhe mit der neben ihr angebrachten Glaskapsel. Die Passagiere der zweiten Gondel deuteten aufgeregt zu ihnen herüber; Kamerablitze sprangen durch das Halbdunkel. »Lauter Fotos für die Ewigkeit«, sagte Cassidy. »Sie, Ella, ich und ein Revolver. Sie haben keine Chance, Gershenson.«
    »Ich habe zwanzig Minuten, in denen Sie nichts unternehmen können«, sagte Gershenson. »Mehr brauche ich nicht. Geben Sie mir seine Pistole, Ella, bitte!« Er drehte sich mit dem Rücken zur Nachbargondel und achtete darauf, dass die Bank weiter zwischen ihm und Cassidy war. Mit der freien Hand holte er ein Handy aus der anderen Manteltasche, drückte eine Taste und wartete, den Apparat am Ohr, bis sich der Angerufene meldete. Dann sagte er: »Sie ist in der Mills Clinic in Wandsworth.« Er lauschte. »Nein, sie ist die Letzte, die es weiß. Wenn sie nicht mehr lebt …«
    Dann sind alle tot, die Bescheid wussten, vervollständigte Ella in Gedanken. Sie sah zu Cassidy hinüber. Seine Miene ließ erkennen, dass er dasselbe dachte wie sie. Er kann uns nicht am Leben lassen. Er muss uns töten, bevor wir wieder unten ankommen. Danach wird er sich selbst töten. Aber diesen Preis ist er bereit zu bezahlen. Denn es geht nicht um ihn. Er schützt damit nur jemand anderen. Den, der wichtiger ist als er.
    Wir haben noch genau zwanzig Minuten zu leben.

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    »Setzen Sie sich auf die Bank, bitte!«, sagte der Professor und wies ihnen mit der Mündung des Revolvers ihre Plätze zu. Ella wollte sich nicht hinsetzen, aber Cassidy gehorchte, und deswegen setzte sie sich auch. »Was ist, wenn Sie sich irren?«, fragte sie. »Wenn Annika sich nicht in der Mills Clinic aufhält?«
    In den anderen Gondeln neben und unter ihnen flackerten jetzt immer mehr Kamerablitze auf, sodass es aussah, als schwebten sie durch ein monochromes Feuerwerk.
    Gershenson stand breitbeinig an der Glasverblendung. »Die Krankenhäuser, die Sie mir gemailt haben, kamen nicht infrage«, erklärte er. »Das war mir sofort klar. Sonst hätte ich mich auch gar nicht mehr mit Ihnen getroffen. Kennen Sie die Formulierung von Kafka? Ich bin e in Anwalt, daher kann ich mich nie dem Bösen entziehen … Sehen Sie, ich bin Psychiater, und deswegen kann ich mich dem Bösen auch niemals entziehen. Es war eine gute Idee von Annika, sich in einer geschlossenen Anstalt zu verstecken. Der Teufel hat Angst vor Geisteskranken. Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich – erinnern Sie sich? Die Mills Clinic hat einen kirchlichen Träger, und Annika hat sie nie erwähnt, in all den Jahren, in denen sie zu mir zur Supervision kam.«
    In all den Jahren, in denen sie sich Ihnen vertrauensvoll geöffnet

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