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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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dazwischen sahen sie sich an, als warteten sie nur auf den Moment, in dem sie sich zu Boden werfen mussten.
    »Sind uns ähnlich, sind uns ähnlich«, sagte die Frau auf der Couch. Der Mann, der auf dem Boden kauerte, hörte für Sekunden auf, zu wimmern. Irgendwo außerhalb des Raums schrillte eine Klingel, mehrmals, schnell hintereinander.
    »Du kennst mein Nutzerprofil so gut wie ich deins«, sagte Annika. »Vielleicht sogar besser. Du hast uns belauscht, deinen Vater und mich und weißt alles, was ich ihm erzählt habe, nicht? Du kennst mein Leben, meine Arbeit, meine Patienten, meinen Kummer, meine Freunde. Den Rest hast du aus dem Netz, wo ich wiederum dich genauer kennengelernt habe … das, was dein Vater mir noch nicht erzählt hatte. Irgendwann kannte ich all deine User-Namen, und du kanntest meine. Wir haben uns in denselben Foren getroffen. In jedem zweiten Chatroom sind wir uns begegnet. Sogar bei Global Jihad hast du als Thief-of-Bagdad nach Kandidaten für dein Programm gesucht, und ich habe als Califfa versucht, sie dir wieder abspenstig zu machen. Wir haben nach allem gesucht, was uns verbindet, haben uns immer wieder neu berechnet, jede Ähnlichkeit unendlich oft hochgeladen, um uns besser kennenzulernen, besser identifizieren zu können.«
    Sie breitete die Hände aus, eine Geste des Vertrauens. »Du hast LifeBook vielleicht besser verstanden als ich, weil du unglücklicher warst. Es war für Menschen wie dich gedacht, und du hast dich dagegen gewehrt, du wolltest dich nicht als unglücklich betrachten. Aber während du versucht hast, alles ins Gegenteil zu verwandeln, habe ich deine Firewalls durchbrochen und deine Systeme heimgesucht, mit Störimpulsen irritiert. Natürlich nicht allein, dazu wäre ich gar nicht in der Lage gewesen. Ich hatte Hilfe, genau wie du.«
    Oliver lauschte gebannt, mit leicht geöffnetem Mund, als hörte er ein Märchen, ein sehr altes Märchen, das er schon öfter gehört hatte, nur dass zum ersten Mal er selbst eine Rolle darin spielte. Geschickt, dachte Ella, sie schmeichelt ihm, macht ihn größer, als er ist.
    »Wir haben nach uns gefahndet, uns umschlichen und versucht, uns unsere Beute abzujagen«, sagte Annika. »Du warst allerdings im Vorteil, denn du wusstest, wer ich bin. Als mir das klar wurde, habe ich begriffen, dass ich vorsichtiger werden muss, und angefangen, mich zu verstecken und schließlich alle meine Spuren im Netz zu löschen. Aber je mehr von mir verschwunden ist, desto mehr Rechenkapazität hast du aufgewendet, um mich zu finden, und so bekam ich mehr und mehr Anhaltspunkte, um dich aufzuspüren. Ich wollte dich nämlich unbedingt finden, um jeden deiner Pläne zu durchkreuzen, jeden weiteren Anschlag zu verhindern, jeden Verzweifelten aus deiner Einflusssphäre zu befreien. Und die ganze Zeit sind wir uns näher und näher gekommen, wie zwei Pole, die miteinander verschmelzen müssen, zwei Energiequellen, die gemeinsam alles umfassen oder aufheben können.«
    »Aber ich habe gewonnen«, sagte Oliver störrisch. »Ich habe dich gefunden, bevor du mich entdeckt hast.«
    »Das stimmt«, bestätigte Annika, »und wenn es dir darum ging, mich zu zerstören, wäre es dir fast gelungen. Die letzten Wochen waren schrecklich, meine Flucht, das Versteck hier.«
    Der Junge leckte sich über die Lippen, mit einer kleinen rosigen Zungenspitze wie die einer Katze, und wechselte die Granate unruhig von einer Hand in die andere. Mit der freien Hand griff er in die Manteltasche und holte ein Smartphone heraus. Er drückte ein paarmal auf die Menüführung, bis er gefunden hatte, was er suchte. Seine Wangen röteten sich, ein fiebriger Glanz trat in seine Augen. »Dagegen können Sie jedenfalls nichts mehr machen«, stieß er hervor. Er starrte noch ein paar Sekunden auf das Display, fasziniert, als betrachte er einen spannenden Film, dann ließ er das Handy wieder in die Manteltasche gleiten.
    Annika fuhr zusammen, als hätte ihr jemand einen Stromstoß verpasst. Ihre Nasenflügel begannen zu zittern. Sie schien aufzuhören zu atmen, und Ella dachte: Hoffentlich kriegt sie keinen Anfall, nicht jetzt. »Wogegen?«, fragte Annika. »Wogegen kann ich nichts machen?«
    »Nichts machen«, sagte die Frau auf der Couch. »Nichts machen.«
    Cassidy holte unauffällig sein eigenes Smartphone aus der Jackentasche und murmelte: »Das gefällt mir nicht.« Er schaltete es ein, aber Oliver bemerkte es und rief: »Was hast du da? Tu das Handy weg!« Der Junge schluckte ein

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