Nukleus
beiden Beamten folgen mir schon wieder«, sagte Ella.
»Ich nehme an, ich spreche mit Doktor Bach«, sagte Abdallah nach einer Pause.
»Ja, und Ihre beiden Beamten folgen mir immer noch.«
»Das überrascht mich«, sagte der Kommissar. »Ich überprüfe das sofort und rufe Sie zurück.«
Er unterbrach die Verbindung, und Ella behielt den Apparat in der Hand, während sie sich auf den Brief zu konzentrieren versuchte. Drei Minuten später summte das Handy. »Sind Sie am Flughafen?«, fragte Abdallah.
»Ja.«
»Ich habe mit den Kollegen gesprochen, und die sagen, es handelte sich um einen Zufall. Sie wären wegen eines anderen Falls am Flughafen. Zurzeit sind wir etwas unterbesetzt, und jede Abteilung hilft bei der anderen aus. Ist also durchaus möglich.«
»Ja, aber ist es auch wahrscheinlich?«
»Was machen Sie am Flughafen? Wollen Sie weg?«, fragte Abdallah.
»Sie haben mir nicht verboten, die Stadt zu verlassen, oder?«
»Nein, aber ich weiß gern, wo meine Schäfchen sind, solange ich sie beschützen muss. Und wohin geht die Reise?«
»Nach London.«
»Verstehe«, sagte Abdallah. Er schwieg eine Sekunde, in der sie ihn nicht einmal kauen hören konnte. Dann sagte er: »Wir haben übrigens damit begonnen, den Rechner von diesem Kornack auszuwerten. Es dauert ein bisschen, weil er versucht hat, vor seiner Kamikaze-Aktion die Festplatte zu löschen. Unsere Techniker sind dabei, die zerstörten Daten zu rekonstruieren, und bisher haben wir nur ein paar wirre Texte wiedergefunden, die wir noch analysieren müssen. Aber zwei interessante Dinge haben wir doch schon rausgefunden. Nummer eins: Kornack war tatsächlich ebenfalls in Afghanistan, in Kundus, und zwar als Stabssanitäter der Gebirgsjäger, die auch von Scharnhorst seelsorgerisch betreut wurden. Nach seiner Rückkehr hat er eine Zeit lang bei seiner Mutter gelebt. Ist erst vor Kurzem bei ihr ausgezogen. Das erklärt auch, warum seine Wohnung praktisch leer war. Eigentlich darf ich Ihnen das alles gar nicht erzählen, sind schließlich streng geheime Ermittlungsergebnisse, aber ich mache mal eine Ausnahme wegen Nummer zwei.«
»Und Nummer zwei wäre?«
»Kornack hatte Ihr Bild in seinem Computer, vermutlich das Foto, das er nach dem Anschlag im Rettungswagen mit seinem Handy von Ihnen gemacht hat. Es zeigt Sie und die Kleine, Shirin, auf der Trage.«
Es knackte in der Leitung, dann ein Rauschen. Abdallah sagte etwas, aber Ella konnte ihn nicht verstehen. Stattdessen signalisierte jetzt ein Piepton, dass ein zweiter Anrufer sie zu erreichen versuchte. »Hören Sie!«, rief sie gegen das Rauschen an, »ich muss Schluss machen.« Dann drückte sie ihn weg und nahm den anderen Anruf entgegen. Dabei fielen einige Seiten des Briefs zu Boden. Sie meldete sich und ging gleichzeitig in die Hocke, um die Papierbögen aufzusammeln. »Ja, Bach.«
»Ella, Julian.« Er sprach leise, so als wollte er nicht, dass jemand hörte, mit wem er redete. »Wo bist du gerade?«
»Ich bin am Flughafen«, sagte sie und legte die Seiten des Briefs auf ihren Plastikstuhl; keiner der anderen mit ihr wartenden Passagiere unternahm Anstalten, ihr zu helfen. »Ich fliege nach London. Meine Maschine startet in einer halben Stunde.«
Julian schwieg einen Moment. Im Hintergrund redeten mehrere Stimmen durcheinander, es klang aufgebracht.
»Was ist los?«
»Nichts«, antwortete Julian unsicher.
»Ist etwas mit Shirin?« Ella hielt inne, kauerte reglos vor ihrem Stuhl. An der Panoramascheibe rollte ein Jumbo-Jet der British Airways mit grün und rot blinkenden Positionslichtern vorbei. »Ist sie aufgewacht?«
»Leider nein«, sagte Julian.
Der Eisklumpen in ihrem Magen drehte sich. »Weswegen rufst du dann an?«, fragte sie.
»Nun, ich dachte, du solltest es wissen. Shirin ist im septischen Schock und überlebt die Nacht vielleicht nicht …«
Es gab ein Geräusch, als rubbelte jemand mit einem Tuch über das Mundstück von Julians Handy, dann dröhnte Ella die heisere Stimme von Halil Abou-Khan herrisch ins Ohr: »Kommen Sie her, Ärztin!«
Die Leuchtschrift auf der Anzeigentafel über dem BA-Schalter wechselte und zeigte jetzt die Flugnummer und die Worte Ready for boarding. Darunter blinkten drei grüne Punkte.
Was soll ich denn jetzt machen, Anni? Natürlich ist Shirin gar nicht mehr meine Patientin, und ich kann nichts tun, um ihr zu helfen. Ich bin am Flughafen, ich habe meine Bordkarte, und mein Flug ist aufgerufen. Du bist meine beste Freundin, und falls du doch
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