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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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antwortete Shirins Vater.
    »Dann werde ich es Ihrem Imam zeigen.«
    Halils Frau schüttelte den Kopf, als hätte sie verstanden, was Ella sagte. Sie trug jetzt zusätzlich zum Kopftuch noch einen halben Schleier, der ihr Gesicht vom Hals bis zu den Augen verhüllte. Sie sagte etwas, wie immer zu laut und mit einem schrillen Unter ton. Halil antwortete mit ein paar geknurrten Silben, und danach nahm er keine Notiz mehr von ihr oder Ella, zog sich wieder in sich zurück.
    Ella ließ ihn stehen. Kurz entschlossen ging sie zu dem schlanken, bärtigen Mann in dem weißen, an den Säumen mit roten und grünen Stickereien verzierten Kaftan. »Ich bin die Ärztin, die Shirin nach dem Anschlag zuerst versorgt hat«, stellte sie sich vor. »Mein Name ist Ella Bach.«
    Der Imam streifte sie nur mit einem kurzen Blick, sagte jedoch nichts, und gab auch sonst mit keiner Regung zu verstehen, dass er ihre Anwesenheit zur Kenntnis nahm. Von Nahem sah sie, dass er älter war, als es vorher den Anschein gehabt hatte. Seine Augen blickten müde, und er schien sie nur mit großer Willenskraft offen halten zu können. Sein Bart war mit grauen Strähnen durchsetzt. Auch das Haar, das in Locken unter seiner Kappe hervorfiel, war eher grau als braun.
    »Gehört die Familie Abou-Khan zu Ihrer Gemeinde?«, unter nahm Ella einen neuen Anlauf, das Smartphone noch immer in der Hand. Der Geistliche wandte den Kopf ab und bewegte sich ein winziges Stück von ihr weg, mehr ein schwaches Beben als eine echte Bewegung. Dabei warf er Shirins Onkel einen finster tadelnden Blick zu.
    »Der Imam spricht nicht mit Frauen«, sagte Rashido. »Und mit solchen, die kein Kopftuch tragen, schon gar nicht.«
    »Sie haben da ja weniger Probleme, was Frauen ohne Kopftuch angeht«, sagte Ella. »Oder auch Frauen ganz ohne Kleider, jedenfalls nach Ihren Videoclips zu urteilen.«
    Sie ließ den Geistlichen stehen, ging zu Rashido und hielt ihm das Display ihres Handys vors Gesicht. »Ich habe gestern von Shirins Bruder einen Film geschickt bekommen, den könnten Sie auch jederzeit für eins Ihrer Lieder verwenden. Wie finden Sie das?«, fragte sie und spielte Amals Nachricht ab. Sie sah, wie das Blut aus dem Gesicht des jungen Mannes wich, als der Film ablief, als die Schreie des Mädchens aus dem winzigen Lautsprecher drangen.
    Abrupt riss der Rapper Ella den Apparat aus der Hand. Mit ein paar Schritten war er bei Halil und sagte leise etwas zu ihm. Dabei legte er ihm die freie Hand auf die Schulter, bevor er ihm das Handy mit Amals Film zeigte. Halil schüttelte den Kopf. Rashido hielt ihm das Handy weiter vors Gesicht, redete weiter auf ihn ein. Da schaute Halil endlich auf das Display.
    Erst schien er nicht zu begreifen. Dann ging eine Veränderung in ihm vor. Etwas schien zu zerbrechen, eine Mauer, die er mühsam über die Jahre hinweg errichtet hatte, um die Welt von sich fernzuhalten. Hilflos musste er mit ansehen, was da auf ihn eindrang. Eine fremde Welt, eine verhasste Welt, die nicht seinem Willen gehorchte, die sich nicht vor ihm in den Staub warf, der er nicht seinen Fuß auf den Nacken setzen konnte. Eine Welt, die er nicht kontrollieren konnte, weil er ausgerechnet Amal, seinen erstgeborenen Sohn, nicht mehr kontrollieren konnte.
    »In der Heimat hätten sie ihm dafür den Schwanz abgeschnitten«, sagte Rashido, als er Ella das Handy zurückgab. »Werden Sie das der Polizei zeigen?«
    »Das habe ich schon getan.«
    Rashido nickte, wandte sich dann ab und ging zu dem Imam, der ihn mit einem schroffen Ruf zu sich zitiert hatte. Ella dachte an das Video, in dem am Ende sein Gesicht durch das Sichtfenster aus der schäumenden Trommel der Waschmaschine herausschaute und davongewirbelt wurde.
    Julian stand plötzlich neben ihr und sagte: »Was hast du denen da gerade eben gezeigt?«
    »Einen Film, in dem Abou-Khans ältester Sohn ein Mädchen vergewaltigt.«
    Julian wurde blass. »Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Die ganze Situation hier ist ein Pulverfass, und du hältst auch noch eine Lunte daran!«
    »Die Lunte brennt schon, seit Shirin bei dem Anschlag verletzt wurde. Ich bin auf eine kontrollierte Sprengung aus.«
    Julian schüttelte den Kopf. »Komm mit«, sagte er, packte ihre Hand und zog sie zum Stationsausgang. »Ich will dich hier jetzt nicht haben! Fahr nach Hause oder wieder zum Flughafen, aber …«
    »Führ dich nicht auf wie einer von diesen libanesischen Machos hier!« Ella entwand ihm ihre Hand. »Ich gehe nicht, bevor ich

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