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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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bilde mir das doch nicht ein. Es hieß »Hilfe«, es hieß »Gefahr«, es ist Anni.
    »Anni«, rief sie, »ich höre dich sehr schlecht! Wer ist in Gefahr? Brauchst du Hilfe?«
    »… du …« Ein Wortfetzen, dringlich – »du« – Teil eines zerhackten Satzes, der keinen Sinn ergab.
    »Von wo rufst du an? Aus London?« Jetzt war Ella nicht mehr auf der Station, aber der Empfang wurde nicht besser, im Lift, auch nicht besser, im Vorraum am Fenster, immer noch nicht besser. »Ich habe mit Cassidy gesprochen. Er war an deinem Telefon. Er hat gesagt, du wärst tot!«
    Das Rauschen schwappte heran, scharf, metallisch, ein prasselnder Meteoritenregen, dazwischen menschliche Laute, die untergingen. Ella presste das Handy so fest gegen das Ohr, dass es schmerzte. »Wo bist du? Sag mir, wie ich dich erreichen kann! Ich habe den Brief bekommen, gerade eben, aber ich habe ihn noch nicht gelesen.«
    Sie sah hinaus, starrte in die Dunkelheit, auf die schwach beleuchtete Kastanienallee. Wartete auf den nächsten Wortfetzen, der nicht kam. Sie wusste nicht, wie lange die Verbindung hielt und ob der Jemand, der Anni sein musste, sie überhaupt verstehen konnte, des wegen redete sie einfach weiter. »Ich nehme gleich morgen den ersten Flug nach London …«
    »… nein …«
    Plötzlich krachte es dicht an Ellas Ohr, als wäre der Satellit, über den ihr Gespräch lief, in ein kosmisches Gewitter geraten und von einem Blitz getroffen worden. Und dann hörte sie nichts mehr, kein Rauschen, kein Knistern oder Knacken und keine Anni. Die Verbindung war tot.

2 7
    Bächlein, entschuldige die Heimlichtuerei, aber
    inzwischen scheint mir der gute alte Postbrief wieder der sicherste Weg, jemandem etwas mitzuteilen, das für niemand anderen bestimmt ist. Keine fremden Augen, keine fremden Ohren, keine fremden Computer oder Satelliten. Seit ich mich dazu entschlossen habe, unterzutauchen, bin ich weder telefonisch noch auf irgendeinem anderen elektronischen Weg erreichbar. Ich versuche, sämtliche Spuren meiner Existenz auf Erden, im Himmel und im Cyberspace zu ver wischen, wenn nicht gar zu löschen, obwohl das fast unmöglich ist. Das alles muss dir ziemlich mysteriös vorkommen, und das ist es auch.
    Du hast mich nie danach gefragt, was ich eigentlich die ganze Zeit gemacht habe, nachdem ich hierher auf die Insel gezogen war. Die Antwort ist einfach: Ich habe meine Seele dem Teufel verkauft, und jetzt versucht er, sie sich zu holen …
    Ella saß vor ihrem Gate im halbleeren Warteraum der Abflughalle und hatte gerade angefangen, Annis Brief zum dritten Mal zu lesen, als eine Lautsprecherdurchsage verkündete, dass der Start ihres für 21:40 Uhr vorgesehenen Flugs mit British Airways nach London Heathrow sich um eine halbe Stunde verzögern würde.
    Ella sah auf. Draußen auf den Gängen wimmelte es von Polizisten und Bundesgrenzschutz, Beamte mit MPs und Kevlarwesten, die paarweise patrouillierten oder in Gruppen beieinanderstanden, um zu zeigen, dass der Staat auf der Hut war.
    Sie hatte Annis Brief – siebenundzwanzig eng von Hand beschriebene Seiten – zweimal lesen müssen, um ihn zu verstehen, und jetzt las sie ihn zum dritten Mal, weil sie es immer noch nicht glauben konnte. Die Angst, die er ihr eingejagt hatte, saß in ihrem Magen wie ein schwerer Eisklumpen; er wollte und wollte nicht schmelzen.
    Ich habe meine Seele dem Teufel verkauft, und jetzt versucht er, sie sich zu holen. Das wäre ja noch zu ertragen (Scherz!), wenn er nicht auch noch hinter den Seelen aller anderen her wäre, auch hinter deiner. Besonders hinter deiner, weil du meine beste Freundin bist. Durch dich will er mich treffen, wenn er mich schon nicht finden kann. Deswegen solltest du dasselbe tun wie ich. Verwisch deine Spuren im Netz, lösch vor allem deinen LifeBook-Account …
    Wieder blickte Ella auf, sah zu der Passagierschleuse hinüber, durch die immer noch vereinzelte Fluggäste tröpfelten. Die beiden Männer vom LKA waren nicht darunter. Ella vermutete, dass sie jetzt draußen auf dem Gang vor der Schleuse standen und telefonierten, um zu berichten, dass sie auf diesen Flug gebucht war, den letzten nach Lon don für heute. Sie hatte den schwarzen BMW Touring zum ersten Mal kurz hinter der Autobahnzufahrt gesehen, dann aber wieder aus den Augen verloren und erst wiederentdeckt, als das Taxi bis zum Haupteingang des Flughafens vorgefahren war, wo der BMW nicht halten konnte, ohne aufzufallen.
    Die beiden Männer auf den Vordersitzen hatten nicht zu

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