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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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auf das herbstliche, aber noch immer dichte Laub des Parks, und obwohl Harrods nur eine kurze Verbindungsstraße weit entfernt war, lag der Platz ruhig unter dem blassblauen Herbsthimmel. Auf dem breiten Fußgängerweg ging nur eine blonde Frau in einem dunkelblauen Kostüm wie der Geist von Maggie Thatcher mit ihrem Pudel spazieren.
    Die schmale Einbahnstraße, die um den Park führte, wurde von gekennzeichneten Privatparkbuchten gesäumt; ein bordeauxroter Range Rover rollte langsam über den Asphalt. Videoüberwachte Eingangstüren unterbrachen die schwarz lackierten Eisenzäune vor den Gebäuden. Die am Straßenrand parkenden Wagen – neue Modelle von Mer cedes, BMW, Jaguar, Lexus, ein Bentley – glänzten in der Sonne, als wäre der Chauffeur eben noch einmal mit dem Wildleder drübergegangen. Der Platz sah nach Geld aus. Nach Annika Jansen, der chronisch klammen Psychologin, sah er nicht aus. Auf dem Messingklingelschild im Hochparterre stand nur ihr Name, kein Titel, keine Berufsbezeichnung.
    Ella klingelte. Niemand öffnete, was sie unter den gegebenen Umständen nicht überraschte. Sie holte ihr Handy heraus und wählte die Nummer, die Detective Inspector Cassidy ihr gegeben hatte. Nach dem dritten Klingeln wurde am anderen Ende abgenommen. Eine Männerstimme sagte: »Metropolitan Police Whitechapel. Constable Brown.«
    »Detective Inspector Patrick Cassidy, bitte.«
    »DI Cassidy ist nicht im Haus. Kann ich Sie mit einem anderen Beamten verbinden?«
    »Wann erwarten Sie ihn zurück?«
    »Das ist schwer zu sagen.«
    »Könnten Sie mir seine Mobilnummer geben?«
    »Ich fürchte, dazu bin ich nicht befugt.«
    »Aber Sie können ihm doch etwas ausrichten?«
    »Natürlich.«
    »Sagen Sie ihm, Ella Bach ist in London und möchte sich mit ihm treffen. Er soll mich anrufen. Ich gebe Ihnen die Nummer.« Sie nannte ihre Handynummer und bat ihn, sie zu wiederholen. Er wiederholte sie, und aus seinem Mund hörte sie sich ganz anders an, denn seine Aussprache klang nicht nach Englischunterricht wie ihre, sondern hatte irgendwo in den Docks der Hafengegend ihre Wurzeln. »Kann ich sonst noch was für Sie tun, Madam?«
    »Nein. Ach, eine Frage habe ich noch: Whitechapel ist doch ein ganzes Stück von Knightsbridge entfernt, oder nicht?«
    »Ein ziemliches Ende, ja.«
    »Die Gegend fällt also nicht in Ihre Zuständigkeit?«
    »Nein, Madam. Eher nicht.«
    »Dann ist es also auch eher unwahrscheinlich, dass einer Ihrer Beamten einen Todesfall so weit von Whitechapel entfernt untersuchen würde?«
    »Ziemlich unwahrscheinlich.«
    »Danke.«
    Ella tauschte das Handy gegen den Schlüssel, den Annika ihr kurz vor ihrer Abreise auf den Wohnzimmertisch gelegt hatte. Nur für alle Fälle, hatte sie gesagt; ich fühle mich besser, wenn ich weiß, dass du ihn hast. Was für Fälle, hatte Ella gefragt; von was für Fällen sprichst du? Jetzt wusste sie es, und jetzt schob sie den Schlüssel in die Haustür, die sich so leicht öffnen ließ, wie sich nur gut geölte Türen öffnen ließen. Das enge Treppenhaus empfing sie mit einem kühlen Geruch nach Teppichreiniger und Messingpolitur. Ein roter Raufaserteppich führte die Holzstufen zum Hochparterre hinauf, das Geländer glänzte matt und lag glatt unter der Hand. Auf dem Absatz vor der weiß lackierten Holztür mit dem in Messing gravierten Namenszug Jansen leuchtete eine Wandlampe hinter einem grünlichen Jugendstilschirm, erlosch aber kurz bevor Ella den zweiten Schlüssel in die Wohnungstür schob.
    Das Haus lag in völliger Stille, nur das Knarren der Scharniere hallte im Treppenhaus nach. Diese Tür ließ sich überraschend schwer öffnen, und als Ella sie wieder schloss, stellte sie fest, warum: Die Innenseite war mit einer Stahlplatte verstärkt und wies zusätzlich zwei schwere Eisenriegel auf. Unwillkürlich zog sich ihr die Brust zusammen, wenn sie daran dachte, was Anni wohl dazu bewogen haben mochte, sich so zu verschanzen.
    Die Wohnung war vom Zwielicht des späten Nachmittags erfüllt, das zwischen den schweren, halb zugezogenen Vorhängen aus dunkelblauem Samt an den bis zum Boden reichenden Fenstern fiel. Es gab einen kleinen Dielenbereich mit einer Vase für Schirme und einem schlanken Garderobenständer aus verschieden langen, zu einem Bündel geformten Eisenstreben, der statt Haken die Stacheln einer Dornenkrone anbot.
    Hinter einer offen stehenden Doppeltür weitete sich die Wohnung zu einem einzigen, loftgroßen Raum, der fast die Ausmaße einer Turnhalle

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