Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
und vielleicht der eine oder andere aus der Geburtstagsgesellschaft.«
James nickte. »Das macht es nicht viel besser. Denn der Grund dürfte nicht Rücksicht auf die Passagiere gewesen sein, wie Sie freundlicherweise unterstellen. Nein, hätte sich der Ruf ›Mörder an Bord!‹ wie ein Lauffeuer verbreitet, wären die wirtschaftlichen Folgen mit Sicherheit verheerend gewesen. Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass Jeremy eine Massenhysterie an Bord amüsant gefunden hätte. Aber der Preis dafür wäre selbst ihm zu hoch gewesen. Schließlich ist er Geschäftsmann.«
»Nun, aber genau das wird jetzt passieren«, sagte der Geistliche. »Er wird eine Menge Geld verlieren, weil keiner mehr Vertrauen in seine Reederei hat. Seit gestern Nacht ist die Victory auf allen Nachrichtenkanälen. Es wird viele Stornierungen geben.«
»Was kein wirklicher Trost ist für die Angehörigen des Mannes, der tot aus dem Meer gefischt wurde«, bemerkte James bitter. »Und das alles nur, weil die beiden Alten sich aufgeführt haben wie genusssüchtige griechische Götter, die einen Sturm auf die Erde schicken und sich über das Chaos amüsieren.«
»Geschieht ihnen eigentlich ganz recht«, bemerkte Joseph Sutcliffe mit Genugtuung, »dass sie am Ende selbst in den Strudel der Täuschungen gerieten, die sie inszeniert hatten.«
James musterte sein Gegenüber. »Harte Worte für einen Geistlichen.«
Sutcliffe zuckte die Schultern. »Geistliche sind auch nur Menschen, Mr Gerald. Aber selbstverständlich schließe ich die beiden in meine Gebete ein.«
»Na, dann«, lächelte James. Er wurde wieder ernst. »Außerdem, vergessen wir nicht, ohne die kriminelle Energie von Mr Chandan und Ivy wäre nichts weiter passiert, als dass man sich am neunzigsten Geburtstag der alten Dame königlich über unsere dummen Gesichter amüsiert hätte, wenn Eden und Judy bei der Zaubershow wieder aufgetaucht wären.«
»Zwei klassische Motive«, sagte der Geistliche. »Habgier bei ihr, Hass bei ihm.«
»Vergessen Sie die Liebe nicht«, sagte James. »Ohne die Liebe des Chinesen zu Ivy wäre nichts passiert.«
»Das muss eine kranke Form der Liebe gewesen sein.«
»Immerhin beeindruckend«, sagte James, »dass Chandan für seine große Liebe bereit war, ins Gefängnis zu gehen, und sie schützen wollte. Das romantische, ritterliche Herz in der Brust dieses jungen Mannes hätte noch sehr lange für Ivy geschlagen, bis er gemerkt hätte, dass er sich in ihr getäuscht hat.« Er sah den Pfarrer an. »Aber andererseits haben Sie recht, seine Liebe hatte wohl auch eine hässliche, kranke Seite. Er ist wie der ritterliche Hai aus dem alten Seemannslied, der nett zu Frauen und Kindern ist, aber ansonsten gewissenlos tötet. Eiskalt hat er zwei Männer über Bord geworfen, nur um von dem geplanten Mord an Jeremy abzulenken.«
Sutcliffe erschauerte. »Das ist so gewissenlos und kalt, dass man eine Gänsehaut bekommt.«
»Das Verrückte ist«, sagte James kopfschüttelnd, »dass Jeremy seinen Diener durch dieses Serienkiller-Theater letztlich selbst auf die Idee gebracht hat, ihn umzubringen. Die Geister, die ich rief.«
»Aber wie kamen Sie auf Mr Chandan als Täter?«, überlegteSutcliffe. »Und darauf, dass es gar keinen Serienkiller gab? Als Judy und Eden gefunden waren, gab es doch definitiv zwei Personen, die über Bord geworfen worden waren. Das hätte doch trotzdem ein Serienkiller gewesen sein können.«
James lächelte. »Sehen Sie, genau davon wollte Mr Chandan mich auch überzeugen, als wir in der Kabine von Judy Kappels Mann waren. Und da wurde mir klar, warum er ein vitales Interesse daran hatte, dass wir weiter an den Serienkiller glaubten.«
»Aber wie kamen Sie darauf, dass Ivy seine Komplizin war?«
»Ein Foto der jungen Familie, das wir kurz zuvor in Jeremys Kabine fanden. Jeremy selbst hatte es an Jamies Taufe aufgenommen. Der Kleine schrie wie am Spieß. Und glauben Sie mir: Dieses Kind würde mit seinem durchdringenden Brüllen selbst einen Heiligen zur Weißglut treiben. Die Nerven der jungen Eltern haben mit Sicherheit blank gelegen, als sie mit dem Schreihals posierten und Jeremy auf den Auslöser drückte. Interessanterweise ist ihr Gesichtsausdruck jedoch völlig verschieden: Richard sieht aus, als würde er gleich die Nerven verlieren und entweder dem Fotografen oder seinem Kind an die Kehle gehen. Ivy dagegen lächelt mit beinahe überirdischer Sanftmut und madonnengleicher Güte in die Kamera, ganz so, wie man es von einer
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