Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
tue ich Phyllis einen großen Gefallen. Im Übrigen seien Sie unbesorgt, das wird schon wieder mit den beiden. Sheila mag sich im Moment über ihre Mutter aufregen, aber ich fürchte, sie wird ihr nicht lange böse sein können.«
Pfarrer Sutcliffe schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegensatz zu Ihnen, wie es scheint. Darf ich Ihnen einen gut gemeinten Rat geben, Mr Gerald?«
James sah ihn an. »Wie könnte ich einen Mann Gottes davon abhalten?«
Sutcliffe lachte, dann wurde er wieder ernst. »Vergeben Sie Phyllis und Jeremy, James. Ich mache mir sonst Sorgen um Ihr Seelenheil!«
James sah seinem Gegenüber in die Augen. »Da sind wir quitt. Ich mache mir nämlich auch ein klein wenig Sorgen um Ihres.«
Joseph Sutcliffe lächelte amüsiert. »Warum denn das, wenn ich fragen darf?«
»Weil Sie kein Pfarrer sind.«
Das Lächeln in Sutcliffes Gesicht erlosch wie eine Kerze unter einer Glasglocke. Er sah James an, der seinen Blick ruhig erwiderte. »Wie – haben Sie das herausgefunden?«, sagte er schließlich tonlos.
»Vergessen Sie nicht, so etwas war mein Job.«
Es folgte ein langes Schweigen. Joseph Sutcliffe starrte auf seine Schuhe, dann beugte er sich nach vorn, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Warum?«, fragte James.
Dumpfe Laute drangen durch die Hände des anderen. James versuchte, sie zu einer Antwort zusammenzusetzen, bis er merkte, dass Sutcliffe weinte. James lehnte sich im Sessel zurück, sah auf das Meer, das auch heute wieder ruhig und tiefblau vor ihnen lag, und wartete.
Schließlich nahm Sutcliffe die Hände vom Gesicht und blickte James an. »Ich wollte schon als kleiner Junge Priester werden, Mr Gerald. Das war mein großer Traum. Es ist nicht so, dass ich einfach nur ein Hochstapler bin, glauben Sie mir!«
James reichte ihm ein Taschentuch. »Warum wurde nichts aus dem Traum?«
Joseph Sutcliffe schnäuzte sich geräuschvoll. »Wie das so ist mit den Träumen der Kindheit: Plötzlich wacht man auf und arbeitet in einer Bank. Aber irgendwann habe ich einfach keine Luft mehr bekommen. Ich feierte immer mehr krank und verlor schließlich meinen Job. Meine Wohnung verkam, aus Scham ließ ich niemanden mehr rein. Der Fernseher lief Tag und Nacht, ich aß nur noch Tiefkühlpizza und trank schon zum Frühstück Bier. Schließlich kündigte mir der Vermieter, und zwei Monate später hätte ich auf der Straße gestanden. Da sah ich eine Reportage über ein Kreuzfahrtschiff, in der auch ein Schiffsgeistlicher interviewt wurde, und da kam mir diese Idee. Ich machte mich im Internet ein bisschen schlau über Kreuzfahrtschiffe undbewarb mich bei mehreren Reedereien. Im Grunde habe ich gar nicht erwartet, dass es klappt. Aber es war so leicht. Nicht mal meine Papiere wurden überprüft. So fing mein neues Leben an, und es war, als hätte es die ganze Zeit auf mich gewartet. Es fühlte sich so gut an, so richtig.«
»Und Sie waren sicher, dass man Ihnen den Geistlichen abkauft?«, fragte James. »Hatten Sie keine Angst aufzufliegen?«
»Doch, und wie«, gab Sutcliffe zu, »auf der ersten Fahrt ständig. Jeden Morgen habe ich gebetet, dass niemand etwas merkt.« Sutcliffe lächelte. »Angst ist ein großer Motivator, Mr Gerald. Ich habe eine Menge gelesen, viele Fernsehübertragungen von Gottesdiensten studiert, die Liturgie auswendig gelernt und mir Predigten aus dem Internet heruntergeladen. So wurde ich immer besser.«
»Aber sagen Sie, warum ausgerechnet katholischer Geistlicher auf einem britischen Schiff?«
Sutcliffe zuckte unsicher die Schultern. »Das ist das, was ich am besten kann. Ich bin katholisch. Meine Eltern kommen aus Schottland. Außerdem ist es ziemlich praktisch, die meisten Passagiere sind Anglikaner und kennen sich mit der katholischen Liturgie nicht gut aus. Wenn ich doch mal einen Fehler mache, fällt es nicht so auf. Und das Risiko, einem echten Kollegen zu begegnen, ist nicht hoch. Einmal war ein anglikanischer Pfarrer mit seiner Frau an Bord, und einmal hatten wir einen amerikanischen Fernsehprediger.«
»Und selbst diese beiden haben nichts gemerkt?«
»Nein.« In Sutcliffes Stimme schwang Befriedigung. »Der Prediger wollte abends mit mir über Abtreibung diskutieren, da habe ich nur gesagt, dass die Position der katholischen Kirche eindeutig sei und ich dem nichts hinzuzufügenhätte. Damit war er zufrieden. Der Anglikaner wollte einen ökumenischen Gottesdienst mit mir feiern, was wir auch taten. Ich habe die
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