Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
ja?«
»Kommen Sie, James, Sie wissen doch auch, wie man die Spreu vom Weizen trennt, oder?«
»Sie haben eine zu hohe Meinung von mir«, sagte James lächelnd. »Wenn ich das wüsste, wäre ich vermutlich verheiratet und würde mich wie Sie über Enkel und Urenkel freuen.«
Jeremy winkte ab. »Ach was, als ob es darauf ankäme, sich fortzupflanzen. Wenn das Ende kommt, werde ich weiß Gott nicht denken: Gut, dass ich meine Gene weitergegeben habe. Die größten Esel pflanzen sich fort, und ich bin überzeugt, es sind nicht die Gene, die uns zu etwas Besonderem machen. Jeder ist das, was er aus sich selbst macht. Nein, es sind die Visionen und die Willenskraft, sie umzusetzen, die uns andere überragen lassen. Man muss die Puppen tanzen lassen, James. Die Fäden ziehen, etwas bewegen.« Jeremy hatte sich in Rage geredet. James hielt es für angeraten, das Thema zu wechseln.
»Es war sehr großzügig von Ihnen, Phyllis diese Reise zu schenken. Die wenigsten Männer würden das für ihre geschiedene Frau tun.«
Jeremy lächelte breit. »In der kurzen Zeit, als wir verheiratet waren, hätte ich ihr jeden Tag den Hals umdrehen können, aber mit etwas Abstand ist sie das unterhaltsamste Wesen, das ich kenne. Sie werden noch merken, James, ich bin kein Altruist. Ich habe Phyllis diese Reise aus purem Egoismus geschenkt. Ich habe mindestens ebenso viel davon wie sie.«
»Es ist immerhin anerkennenswert, wenn Sie mit Ihren egoistischen Wunscherfüllungen so vielen Menschen eine angenehme Zeit bescheren.«
Jeremy winkte ab. »Ich bin so manches, aber ein Wohltäter bestimmt nicht.«
»Seien Sie nicht so bescheiden. Ohne Sie wären wir alle nicht hier und würden nicht das Meer und das gute Essen genießen. Den Whisky und die Zigarren nicht zu vergessen. Oder sind Sie etwa der freudlosen Auffassung, dass eine gute Tat nur dann gut und richtig ist, wenn man selbst nichts davon hat?«
Jeremy lachte. »Null-Null-Siebzig, Moralphilosoph Ihrer Majestät. Ist das Teil der Ausbildung zum Spion gewesen?«
James erhob sich. »Ich habe schon immer gefunden, dass dies eine äußerst unzutreffende Bezeichnung für das ist, was wir tun. Danke, Jeremy, es war nett, mit Ihnen zu rauchen – und zu plaudern.«
»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, James. Wir sehen uns nachher in Rom.«
Kapitel 11
»Ist Eden bei dir, Sheila?«
Phyllis stand in der Tür zu Sheilas Kabine, gestützt auf Judy Kappel. Sie spähte an ihrer Tochter vorbei in die Kabine und wendete sich dann enttäuscht an ihre Begleiterin: »Nein, hier ist er auch nicht. Ach, ich weiß nicht, wo wir noch suchen sollen. Er wird schon wieder den Landgang verpassen!«
Vom Balkon kam James hinzu. Es war kurz vor zwölf, und sie hatten eine Partie Schach gespielt, als Phyllis mit gewohnter Heftigkeit an die Tür geklopft hatte.
»Eden ist schon wieder verschwunden?«, fragte James.
»Vielleicht will er gar nicht gefunden werden«, sagte Sheila in neckendem Tonfall. »Früher hast du deine Ehemänner besser unter Kontrolle gehabt, Mutter.«
Phyllis sah ihre Tochter strafend an. »Mir ist nicht nach Scherzen zumute.«
»Gestern ist er auch wieder aufgetaucht«, sagte James lakonisch, »vielleicht spielt er wieder den Samariter.«
»Notfalls kannst du ihn doch einfach ausrufen lassen«, schlug Sheila vor. »Sprich mit Jeremy, er wird das sicher gern veranlassen.«
James sah sie entgeistert an. »Das meinen Sie nicht im Ernst.«
»Warum denn nicht?«
»Der arme Kerl verspätet sich, und schon wird er auf dem ganzen Schiff ausgerufen?«
»Sie sehen das ganz falsch«, mischte Judy Kappel sich mit sanfter Stimme ein. »Es geht nicht darum, ihn bloßzustellen.«
»Nein«, sagte Phyllis und schien angetan von der Idee. »Wir lassen einfach durchsagen, dass Eden sich an der Rezeption im Atrium melden soll. Es ist zu seinem eigenen Besten. Mir wäre der Ausflug eh zu anstrengend bei dieser Hitze, ich bleibe mit Al und Rosie an Bord, aber Eden hat sich schon sehr auf Rom gefreut.«
Phyllis ließ sich wieder in ihren Rollstuhl sinken, machte eine geschickte halbe Drehung und fuhr in Richtung der Aufzüge davon, Miss Kappel eilte hinterher. James schloss kopfschüttelnd die Tür. »Da könnten sie dem armen Kerl gleich einen Zettel an den Rücken heften, auf dem ›Loser‹ steht. War Ihre Mutter immer schon so?«
»Nein«, sagte Sheila nachdenklich, »sich gleich solche Sorgen zu machen, das ist sonst nicht ihre Art. Meine Mutter hat ihr Leben immer als Abfolge von
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