Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
könnt.«
»Ivy will das nicht«, gab Richard zurück.
»Warum nicht?« Jeremy zog die Augenbrauen zusammen. »Dafür ist Mr Chandan doch da. Oder habt ihr Sorge, dass ihr ihn extra bezahlen müsst? Das müsst ihr nicht, er wird gut von mir bezahlt. Sehr gut sogar.«
Richard war das Thema unangenehm. »Das ist es nicht, Großvater. Ivy ist einfach eine Glucke. Am liebsten würde sie Jamie nie aus den Augen lassen, vor allem hier auf dem Schiff nicht. Seit wir an Bord gegangen sind, hat sie diese Angst, er könnte über Bord fallen und ertrinken. Und von Chandan als Babysitter hält sie gar nichts.«
»Ivy scheint hysterisch veranlagt zu sein«, sagte Jeremy. »Du musst aufpassen, dass das nicht schlimmer wird.«
Inzwischen waren die Männer am Pub angekommen, sie stellten die Golftaschen neben dem Eingang ab und ließen sich in einer holzvertäfelten Ecke nieder. »Sie ist nicht hysterisch«, verteidigte Richard seine Frau. »Jamie ist mit seinen zwei Jahren in einem Alter, in dem die motorischenFähigkeiten nun mal viel weiter entwickelt sind als die geistigen. Er klettert wie ein Weltmeister, stürzt aber überall runter, wenn man nicht aufpasst.«
»Die Sorge seiner Mutter, dass er ins Meer fällt, dürfte wirklich nicht ganz unbegründet sein«, mischte Eden sich ein. »Ebenso wenig die Sorge bezüglich Mr Chandan, er hat schließlich keine Erfahrung als Kinderbetreuer.«
»Stimmt«, sagte Richard. »Jamie ist verflixt schnell. Wenn er losrennt, hängt er Mr Chandan schneller ab, als der bis drei zählen kann.«
»Blödsinn«, sagte Jeremy. »Mr Chandan ist jung und sportlich und nicht auf den Kopf gefallen, da wird er der Aufgabe wohl gerade noch gewachsen sein. Ich bitte euch, Kinderbetreuung ist doch keine Gehirnchirurgie. Aber bitte, das müsst ihr selbst wissen. Es ist nur ein Angebot.«
Die Sache war für ihn erledigt, und nachdem sie ihre Getränke bestellt hatten, redete man über Golf. James schaltete ab, genoss seinen Whisky und ließ die Bar auf sich wirken. Der Innenarchitekt hatte offenbar die Anweisung gehabt, die Illusion eines alten irischen Pubs zu schaffen. Die Einrichtung wirkte, als habe man einen Pub im Herzen von Dublin auseinandergenommen und detailgetreu an Bord des Luxusliners wieder zusammengesetzt. Sogar an die Frotteelappen auf dem dunklen Holztresen, die überlaufendes Bier aufsaugen sollten, hatte man gedacht. Allerdings wirkten sie frisch gewaschen und gemangelt, und auch die Holzdielen waren ganz untypisch auf Hochglanz poliert. Die allnächtlichen Putzkolonnen sorgten gnadenlos für penible Sauberkeit auf dem Schiff. Der große Humidor in einer Ecke des Pubs erregte James’ Aufmerksamkeit. Er erhob sich, um einen Blick hineinzuwerfen. Zwar rauchte er meistens Zigaretten,doch die waren nur ein Notbehelf für zwischendurch, sie verstärkten seine Anspannung eher, als dass sie sie lösten. Zigarren dagegen bedeuteten Entspannung und Genuss pur. James mochte den Geschmack, aber mehr noch die Zeit, die eine Zigarre von ihm einforderte, und die innere Ruhe, die sie ihm zum Ausgleich dafür schenkte. Der weiße Qualm einer Zigarre war wie eine Schneedecke, die sich dämpfend über das Lärmen der Großstadt legt und den Luxus der Langsamkeit erzwingt.
»Machen Sie ihn ruhig auf, James«, sagte Jeremy. Er öffnete den großen Schrank, der für gleichbleibende Feuchtigkeit der Zigarren sorgte. Jede einzelne war mit einem kleinen Namenstäfelchen versehen, auf dem die Zeit und der genaue Ort ihrer Entstehung vermerkt waren.
»Dieser Humidor ist wie ein edler Rennstall, der stolz seine Pferde präsentiert«, bemerkte James lächelnd.
Jeremy griff nach einer Zigarre und reichte sie James. »Schnuppern Sie einmal an dieser hier, James. Ich sehe, Sie verstehen etwas davon.«
James zog die Zigarre an der Nase vorbei und sog ihr Aroma ein. »Was gibt es Schöneres als den Duft einer solchen Zigarre?«
Jeremy nahm sich ebenfalls eine Zigarre. »Kommen Sie, gehen wir zum Rauchen in die Club Lounge.« Er deutete auf eine kleine Tür in der Holzvertäfelung. Sie war James bereits aufgefallen, und er hatte angenommen, dass sich dahinter eine Lagerkammer oder ein Personalzimmer befand. Jeremy hielt ihm die Tür auf, und sie betraten einen überraschend großen Raum. Die Wände waren im venezianischen Stil mit dickem, goldenem Brokatstoff bespannt, die schweren, dunkelroten Ledersessel bildeten dazu einenreizvollen Kontrast. An einer Seite der Wand lenkte ein Panoramafenster den Blick auf
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