Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
Sie!«
»Aber James, dann fehlt doch schon etwas«, protestierte sie.
»Keine Sorge, alle Zutaten sind noch reichlich vorhanden.« Er beobachtete Sheila, während sie probierte. »Und?«
»Schmeckt nicht nach Johannisbeerlikör.«
»Sondern?«
»Irgendwie undefinierbar.«
Er nickte. »Das war Absicht. Damit er wie selbst gemacht schmeckt.«
»Und sehr süß.«
»Für Frauen können Liköre doch nicht süß genug sein.«
»Was soll das denn bitte schön ...«
Er hob beschwichtigend die Hand. »Ganz wie Sie wollen.« Er holte eine zweite Flasche aus seiner Kabine, schraubte den Deckel auf und goss vorsichtig eine durchsichtige Flüssigkeit hinzu. Dann verschloss er die Likörflasche, schüttelte sie, öffnete sie wieder und schenkte Sheila erneut ein. »Wie ist es jetzt?«
Sie nahm einen Schluck, verschluckte sich und hustete. Er klopfte ihr sanft auf den Rücken. »Himmel, was haben Sie da reingemixt? Reinen Alkohol?«, fragte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war.
James schraubte den Deckel wieder auf die Flasche und zündete sich eine neue Zigarette an. »Geben Sie zu, es ist besser als diese langweiligen Präsentkörbe von Fortnum & Mason, mit denen Ihre Mutter morgen überhäuft werden wird.«
Sheila lachte, während sie sich noch einen Eierlikör einschenkte. »Hauptsache, sie füllt Jamie nicht mit dem Zeugs ab. Das überlebt er nicht.«
James beobachtete sie, während sie genüsslich trank. Es war erstaunlich, was fünf Gläser Likör bei Sheila bewirken konnten. Ihre Augen leuchteten, die unschönen Zornesfalten zwischen den Augen waren verschwunden. Er blickte auf seine Armbanduhr. Es tat ihm leid, Sheilas gelöste Stimmung zerstören zu müssen, aber es war beinahe eine Stunde vergangen, seit Jeremy aufgebrochen war, um mit dem Kapitän zu sprechen, und eine Dreiviertelstunde, seit sie selbst das Dinner verlassen hatten. »Wir sollten zurückgehen zu den anderen«, sagte er widerstrebend. »Und sie warnen, solange noch alle im Captain’s Corner beisammen sitzen und den Mitschnitt von Luigis Auftritt sehen.«
Sheila sah ihn an, alarmiert vom plötzlich ernsten Tonfall seiner Stimme.
»Wo waren Sie eigentlich während des Dinners? Und was haben Sie mit Jeremy draußen besprochen? Bei all der Aufregung über meine Mutter habe ich das ganz vergessen.«
James erzählte ihr, was er vom Ersten Offizier auf der Kommandobrücke erfahren hatte, und auch, dass er sich dafür eingesetzt hatte, dass die Passagiere direkt über die Schiffslautsprecher gewarnt wurden. Dass jedoch sowohl der Offizier als auch Jeremy sich zuerst mit dem Kapitän hatten besprechen wollen. »Ich habe Jeremy eine StundeZeit dafür gegeben«, schloss er seinen Bericht. »Jeremy hat von mir verlangt, dass ich den anderen noch nichts von der Leiche sage, wenigstens so lange nicht, bis er das weitere Vorgehen mit dem Kapitän besprochen hat. Er scheint immer noch diese Wunschvorstellung von einem ungetrübten neunzigsten Geburtstag zu haben.«
Sheila starrte vor sich hin. »Ja. Es geschieht immer alles so, wie Jeremy das will. Sein Motto ist: Wo ein Wille, da ein Weg. Und was er eigentlich damit meint, ist: Wo mein Wille, da mein Weg. Denn sein Wille ist so stark wie ein Bulldozer, und wenn es keinen Weg gibt, dann walzt er eben einen platt.«
James erhob sich. »Diesmal wird das aber nicht klappen, nicht wahr. Kommen Sie, Sheila. Jeremy hatte genug Zeit, wir müssen, wenn schon nicht das ganze Schiff, dann wenigstens die Geburtstagsgesellschaft warnen.« Er versuchte ein Lächeln. »Wir dürfen doch nicht riskieren, dass die Geburtstagsgesellschaft samt und sonders baden geht. Es wäre traurig, wenn Ihre Mutter morgen die Kerzen auf der Torte ausbläst, und keiner von uns zehn kleinen Negerlein ist mehr übrig, um zu applaudieren.«
Er hatte komisch klingen wollen, aber Sheila lachte nicht. »Einer würde übrig bleiben, nicht wahr?«
»Wie meinen Sie das?«
»Einer von uns ist doch der Täter, oder? Einer von uns hat Eden und Judy Kappel über Bord geworfen. Wer sollte es sonst sein? Der Mörder hat es auf die Geburtstagsgesellschaft abgesehen. Es liegt auf der Hand, dass es niemand von außen war, sondern einer von uns. Zehn kleine Negerlein.«
Sheila sah verwirrt aus. Wie ein Kind, dachte er. Sheila ist wie ein Kind, dem zum ersten Mal klar wird, dass es Menschengibt, die es nicht gut mit einem meinen. Die Naivität, die sie sich trotz mehr als vierzig Jahren im Dienst des SIS bewahrt hatte, rührte ihn. Da sie nie im
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