Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
anderen Grund dafür, dass niemand erfahren sollte, mit wem Maddison sich traf? James schaute sich im Pub um.
»Was wir brauchen, ist ein Einzelgänger«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Sheila. »Jemand, der oft allein hierherkommt. Jemand, der hier sein Bier trinken und sich an der Gesellschaft von Menschen wärmen will, aber nicht dazugehört. Ein Beobachter.«
Sheila deutete auf die Bar. »Sie meinen die Typen an der Bar?«
James winkte ab. »Nein, die meine ich nicht. Die Leute an der Bar konzentrieren sich auf ihr Bier und darauf, dem Mann hinter der Theke ein deprimierendes Gespräch aufzudrängen. Den übrigen Leuten im Pub kehren sie den Rücken zu.«
Plötzlich fühlte James einen Blick im Nacken. Er drehte sich um und schaute direkt in die dunklen Augen einer Frau, die an der Wand gegenüber saß. Von ihrem Platz aus konnte sie den ganzen Pub überschauen. Ihre langen, schwarz gefärbten Haare glänzten am Ansatz silbrig und fielen offen auf die schmalen Schultern. Sie mochte noch unter fünfzig sein, wirkte aber mit ihrem blassen, verlebten Gesicht und den schlechten Zähnen wie jemand, der schon lange nicht mehr auf der Sonnenseite des Lebens stand. Über der Stuhllehne hing ein schwarz glänzender Kunstledermantel. »Das ist sie«, murmelte James. »Bin gleich wieder da.« Er taxierte den Abstand bis zum Tisch der Frau. Es waren nur wenige Schritte. Er erhob sich und ging ohne seine Gehhilfe an den Tisch der Frau.
»Entschuldigen Sie bitte, dürfte ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«
Die Frau sah James überrascht an. »Bitte.«
James nahm Platz. »Ich suche jemanden, der oft hierherkommt. Mr Maddison. Thomas Maddison ist sein Name. Kennen Sie ihn?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«
»Ja, dachte ich mir schon. Wäre auch ein großer Zufall gewesen. Aber vielleicht haben Sie ihn mal gesehen.« James zog sein Handy hervor, tippte ein paarmal auf das Display und rief das Foto von Thomas Maddison auf, das er kurz nach seinem Tod gemacht hatte. Die Frau sah es sich an. »Sieht seltsam aus«, bemerkte sie.
»Ja«, sagte James, »das kommt daher, dass er bereits tot war, als dieses Foto gemacht wurde.«
»Ich denke, Sie suchen ihn?«, fragte die Frau misstrauisch.
»Verzeihen Sie, ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt«, beeilte James sich zu erklären. »Mein Name ist Gerald. James Gerald. Ich bin Versicherungsinspektor. Mr Maddison ist vorgestern verstorben. Wir versuchen zurzeit, die Hintergründe seines Ablebens zu erhellen. Verstehen Sie, er hatte eine recht hohe Lebensversicherung zu Gunsten eines Neffen bei unserer Gesellschaft abgeschlossen, und wir versuchen herauszufinden, ob es sich nicht vielleicht um Selbstmord handelte.«
Die Frau nickte verstehend. »Bei Selbstmord zahlen Sie nicht, stimmt’s?«
»Exakt.
»Und wenn er ermordet wurde?«
»Kommt drauf an«, lächelte James. »Wenn der Begünstigte der Mörder ist, geht er leer aus.«
»Logisch«, nickte die Frau. Ihr Interesse war geweckt. Sie sah sich noch einmal das Foto von Maddison an. »Ja«, sagte sie schließlich. »Der Tote auf dem Foto sieht einem Mann sehr ähnlich, den ich vor ein oder zwei Wochen hier gesehen habe. Er hieß aber nicht so, wie sie sagten …«
»Maddison.«
»Nein, nicht Maddison, sondern Sniper. Sie saßen einmal am Nebentisch …«
»Sie?«
»Ja, er und eine Frau. Er saß schon dort, und als die Frau kam, fragte sie ihn: Mr Sniper? Und er stand auf und gab ihr die Hand. Dann haben die beiden sich hingesetzt.«
»Haben Sie auch mitbekommen, wie die Frau hieß?«
»Nein.«
Haben Sie sonst noch etwas mitbekommen?«
»Na hören Sie mal, ich belausche doch keine Gespräche anderer Leute.«
»Das wollte ich Ihnen nicht unterstellen«, sagte James beschwichtigend. »Ich meinte nur, dass die Tische hier sehr dicht aneinanderstehen. Da ist es manchmal unvermeidlich, dass man Sachen mitbekommt. Manche Leute haben durchdringende Stimmen.«
»Nein«, schüttelte die Frau den Kopf. »Mr Sniper sprach sehr leise, und auch die Frau, mit der er sich unterhielt.« Die Frau kicherte. »Die beiden waren verliebt, das sah man sofort. Alter schützt vor Torheit nicht! Der Mann war bestimmt schon an die achtzig, und die Frau auch nicht viel jünger. Die haben sich bestimmt übers Internet kennengelernt und hatten ihr erstes Date.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil sie … na ja, sie kannten sich offensichtlich noch nicht persönlich. Aber dann haben sie sich intensiv
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