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Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst

Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst

Titel: Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Ferber
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Verständnis. So ein rücksichtsloser Kerl. Das hat er ein paarmal gesagt.«
    »Er fand es rücksichtslos, sich das Leben zu nehmen?«
    »Nein, nein, Selbstmord fand er okay, glaube ich. Es ging darum, sich von den Klippen zu stürzen. Na, überlegen Sie mal, eigentlich hat er recht: Wenn man zermatscht unten auf dem Boden liegt, ist das bestimmt kein schöner Anblick. Wer weiß schon, wer einen schließlich findet, vielleicht Kinder. Die bekommen doch einen Schock fürs Leben. Maddison meinte, wenn man sich umbringen will, dann lieber mit Tabletten, und zwar so, dass gar niemand auf die Idee kommt, man hat sich umgebracht. Er meinte, Sterben ist Privatsache. Privatsache, das hat er wirklich so gesagt. Da hätte sich niemand einzumischen. Deshalb hat er sich auch über die Polizei aufgeregt. Sterben ist die letzte große Aufgabe, die man als Mensch hat. Wie er das sagte, die letzte große Aufgabe, das hörte sich grandios an. Wie ein Abschlussdiplom oder so was. Er fand es unwürdig, abzuwarten, bis man elendig vor die Hunde geht. Wenn es unerträglich sei, solle man die Sache selbst in die Hand nehmen, aber bitteschön so, dass man niemanden damit schädigt.«
     
    Sheila sah James an, und er wusste, dass sie dasselbe dachte wie er. Ihm wurde heiß. Wäre es möglich, dass Maddison sich selbst die tödliche Dosis verabreicht hatte? Dass er, genau wie Ruthersford behauptet hatte, eine Überdosis seines eigenen Herzmedikaments geschluckt hatte, aber nicht etwa aus Schusseligkeit, sondern mit voller Absicht? Und dass es sich mit William genauso verhielt? Dass er sterben
wollte
? Plötzlich ergab es Sinn. Maddison war Chemiker gewesen, es war anzunehmen, dass er sich gut auskannte mit verschiedenen Wirkstoffen, und vielleicht hatte er William bereitwillig Auskunft gegeben, welche Mittel er einnehmen musste, um schnell und »natürlich« aus dem Leben zu scheiden. Das würde erklären, warum William das Fläschchen in seinem Klavier aufbewahrte, an einem sicheren Ort. William hatte seine Frau, die vor einem Jahr gestorben war, über alles geliebt. Laut seiner Tochter hatte er sich in den Wochen vor seiner Abreise nach Eaglehurst zwar wieder gefangen, aber mit dieser Einschätzung mochte sie sich getäuscht haben. Vielleicht hatte William ganz einfach seinen Lebensmut verloren. Da er nicht wollte, dass seine Familie das mitbekam, hatte er sich in den Urlaub verabschiedet, fröhlich und energiegeladen wie lange nicht mehr. So wollte er den Menschen, die er liebte, in Erinnerung bleiben. Kein schmerzliches Dahinsiechen, sondern ein heiterer Aufbruch zu einer Reise ohne Wiederkehr. Niemand sollte Verdacht schöpfen, kein Verwandter sollte ihn tot auffinden. Wer weiß, was ihn dazu gebracht hatte, seinen Plan ausgerechnet in Eaglehurst zu verwirklichen. Vermutlich war Maddison der Kristallisationspunkt. Maddison hatte in Glasgow gelehrt, William hatte keine dreißig Meilen von der Stadt entfernt gelebt. Gut möglich, dass sie damals Mitglieder im selben Club waren und sich daher kannten. Noch einen Tag zuvor hätte James nicht im Traum daran gedacht, dass sein alter Freund sich das Leben genommenhaben könnte. Wenn William früher das Schicksal ins Gesicht schlug, dann hatte ihn das zwar kurzzeitig aus der Bahn geworfen, aber nicht umgebracht. Aber es wird anders mit dem Alter, dachte James. Je älter man wird, desto härter treffen die Schläge. Vielleicht war der Tod seiner Frau für William ein zu harter Schlag gewesen. James überlegte, wie der Brief mit dem Limerick zu der Theorie vom Freitod seines Freundes passte. Wahrscheinlich hatte William in der Zeit, als James im Krankenhaus lag, vergeblich versucht, ihn telefonisch zu erreichen, und schließlich den Brief geschickt. Das Bild vom Ritt auf dem Tiger sollte seine Todessehnsucht zum Ausdruck bringen. Und er hatte sich von ihm verabschieden wollen, deshalb der Nachsatz: Ruf mich an! Doch als James angerufen hatte, war es bereits zu spät gewesen.
    Sheila legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Ich bin so erleichtert, James, dass sich alles aufgeklärt hat.«
    »Ja«, sagte James und lächelte sie an. »Ich auch.« Aber das war eine höfliche Lüge. Er mochte nicht zugeben, dass er traurig und enttäuscht zugleich war. Wenn er nicht so lange im Krankenhaus gelegen hätte, vielleicht hätte er William von seinem Vorhaben abbringen können. Andererseits konnte er sich nicht damit abfinden, dass Ruthersford womöglich recht hatte und er mit seiner Mordtheorie einem

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