Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
kodiert, aber so simpel, dass es schon fast lächerlich ist. Das hätte er besser gekonnt.« James markierte den gesamten Text, gab die Schriftart Times New Roman ein, und mit einem Klick verwandelten sich die seltsamen Zeichen in lesbare Schrift. Sheila pfiff durch die Zähne. Das, was sie jetzt vor sich hatten, waren Tagebucheinträge. Sheila suchte in ihrer Handtasche nach ihrer Lesebrille, während James sich an den Ladeninhaber wendete. »Kann man hier etwas ausdrucken?«
Der Mann zuckte die Schultern. »Tut mir leid. Der Drucker ist kaputt.«
Sheila kramte in ihrer Handtasche und zog ihre Lesebrille und einen US B-Stick hervor. »Ich werde die Dateien schnell kopieren. Trotzdem sollten wir den Text gleich hier lesen, James, es sind ja nur ein paar Seiten.«
»Ungern.«
»Was ist los?« Sheila sah ihn prüfend an. James wich ihrem Blick aus. »Verstehe. Sie möchten Williams Tagebuch in dieser unpersönlichen Atmosphäre nicht lesen, stimmt’s?«
»Ich will Williams Tagebuch überhaupt nicht lesen. Weder hier noch sonst wo. Es geht mich nichts an.«
»Kommen Sie schon, James, William war Ihr Freund.«
»Gerade deshalb. Es ist zu persönlich.«
Sie setzte sich die Lesebrille auf und rückte näher an den Bildschirm. »Wissen Sie was, James? Ich lese das mal eben durch. Mir macht das nichts aus. Wahrscheinlich steht da sowieso nichts Aufregendes.« Sie zwinkerte ihm zu. »Es sei denn, ich erfahre so nebenbei auch pikante Details aus Ihrer gemeinsamen Sturm- und Drangzeit!«
James verzog das Gesicht und erhob sich. »Viel Vergnügen. Ich warte draußen.«
James zündete sich die vierte Zigarette an, als Sheila vor die Tür trat. Er sah sofort, dass sie geweint hatte. »Mein Gott«, sagte er bestürzt, »erzählen Sie!«
»Ich weiß nicht, ob Sie das wirklich hören wollen«, sagte Sheila. Sie nahm das Taschentuch, das er ihr anbot, und schniefte hinein. Schließlich sagte sie leise: »Er hat seine Frau getötet.«
James erstarrte. Die Zigarette glitt ihm aus den Fingern, und er trat sie heftig aus. »Das ist doch absurd! Das hätte William nie getan! Sie müssen sich irren.« Er hielt inne und wartete darauf, dass Sheila etwas sagte. Aber sie stopfte nur stumm das Taschentuch in ihre Handtasche und brauchte eine Ewigkeit dazu.
»Glauben Sie mir, Sheila«, fuhr er fort, »ich halte nicht viel von der Ehe, aber diese Ehe war weiß Gott eine, die im Himmel geschlossen worden ist. William war verrückt nach Heather, er hat seinen Job für sie hingeschmissen, sein Leben komplett geändert, und ich habe weder vorher noch nachher zwei Menschen gesehen, die so füreinander geschaffen waren. William hätte alles für sie getan.«
»Ja«, sagte Sheila leise. »Eben darum. Seine Frau war unheilbar krank und vollkommen auf fremde Hilfe angewiesen. AmEnde hielt er es nicht mehr aus. Es hat William fast zerrissen, mit ansehen zu müssen, wie Heather langsam zugrunde ging. Sie dämmerte die meiste Zeit dahin, wurde künstlich ernährt, und selbst wenn sie zwischendurch klare Momente hatte, konnte sie nicht mehr sprechen. Nur noch weinen. Da verschaffte er sich mithilfe von seinem Freund Thomas Maddison die nötigen Medikamente und …«
James wendete sich ab und starrte in die Wolken.
»Sie wussten es nicht?«, fragte Sheila nach einer Weile.
»Wie?«
»Sie hatten keine Ahnung von Heathers Zustand?«
»Nein. – Nicht, dass es so schlimm war. William erwähnte wohl, dass sie Parkinson hatte, aber wenn ich mich nach Heather erkundigt habe, sagte er immer, es ginge ihr den Umständen entsprechend gut, und wechselte das Thema.« Und ich habe nie nachgefragt, ergänzte James in Gedanken. Ich wollte es nicht genauer wissen, und das wusste William. Wir haben uns immer nur in meiner Welt getroffen, die früher auch seine war. Williams Welt, seine Familie, das war kein Thema.
»James?« Sheila legte ihm ihre Hand auf den Unterarm. »Alles in Ordnung?«
Er zog seinen Arm weg. »Ja.«
»Das lässt alles in einem anderen Licht erscheinen, nicht wahr?«, überlegte sie. »Thomas Maddison hat wahrscheinlich nicht nur William mit Medikamenten zur Sterbehilfe versorgt. Diese Frau im Pub hat Ihnen doch gesagt, sie habe gesehen, wie Maddison der Frau, mit der er sich traf, ein Päckchen überreichte. Da werden Medikamente drin gewesen sein. Und das Geld, das die Frau ihm zusteckte, war nicht dafür gedacht, die Restaurantrechnung zu begleichen, sondern war die Bezahlung für die todbringende Ware. Als alter Freund
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