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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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einem gestellt wird. Niemals drauflosplappern und die Angaben mit lauter Details ausschmücken. Dies ist der älteste Trick aus dem Lehrbuch, den Grenzbeamte in aller Welt anwenden; einen Verdächtigen zum Reden bringen, dann stellt er sich über kurz oder lang selbst ein Bein. Der Beamte gab Lennox den Paß zurück. Lennox hob seinen Koffer auf, wurde von den Zöllnern mit einem Winken abgefertigt und ging weiter zum Bahnsteig, an dem der Zug nach Frankreich schon bereitstand. In zwei Stunden würde er in Straßburg sein.
     Der München-Expreß sollte planmäßig in zwei Stunden in Straßburg eintreffen. Am Fenster eines Erster-Klasse-Abteils saß Karel Vanek. Er hatte sich in einen französischen Detektivroman vertieft. Der Tscheche rauchte genußvoll. Das Aroma einer teuren Zigarre füllte das Abteil. Ihm gegenüber saß der enthaltsame Brunner, dem die Zigarre nicht behagte; er hatte sogar den Fehler gemacht, eine Bemerkung über die Zigarre fallen zu lassen. 
    »Wenn wir zurückkommen, werden wir über unsere Ausgaben Rechenschaft ablegen müssen…«
     »In einer kapitalistischen Gesellschaft öffnet eine Aura von Wohlstand sämtliche Türen«, hatte Vanek erwidert und ungerührt umgeblättert.
     Die Wahrheit war, daß Vanek die angenehmen Dinge des Lebens liebte und Brunner für so etwas wie einen Bauernlümmel hielt. Jetzt, als sie sich Straßburg näherten, las er seinen Roman nur noch mit halber Aufmerksamkeit. Er dachte an Dieter Wohl, den in Freiburg lebenden Deutschen. Von den drei Männern, denen das Kommando › einen Besuch abstatten‹ sollte – Vaneks Euphemismus für das Umbringen eines Menschen -, war der Deutsche ihnen im Augenblick am nächsten. Es schien logisch, daß der Deutsche als erster besucht werden sollte.
     Beim ersten Durchgehen der Liste hatte diese Vorstellung dem Tschechen aber nicht so recht zugesagt, und jetzt, als sie sich dem Rhein näherten, kamen ihm die gleichen Zweifel. Vanek wollte nämlich nicht einen zweiten Geheimdienst alarmieren - den deutschen -, solange sie noch nicht weitergekommen waren. Immerhin war nicht auszuschließen, daß bei Wohls ›Unfalltod‹ etwas schiefging. Und später müßten sie ohnehin über Deutschland aus Frankreich zurückkehren. Nein, Wohl hatte noch etwas Zeit. So war Vanek, wenn auch aus anderen Gründen, zu der gleichen Entscheidung gekommen wie Alan Lennox, nämlich erst nach Frankreich zu fahren.
     Er klappte das Buch zu und blies noch mehr Zigarrenrauch in Brunners Richtung. Auch diesmal reiste Lansky in einem anderen Waggon; das war eine kluge taktische Vorsichtsmaßnahme und paßte Vanek überdies persönlich. Er mochte den jüngeren Tschechen nicht. Bald würden sie in Kehl sein, dem letzten Aufenthalt auf deutscher Seite, bevor der Zug die Rheinbrücke nach Frankreich überquerte. 
    Vanek entschied, daß sie in Kehl aussteigen sollten, obwohl es einfacher sein würde, im Zug zu bleiben, bis dieser Straßburg erreichte. Vanek hatte die - nicht unbegründete - Vorstellung, daß Grenzbeamte auf die Reisenden in internationalen Expreßzügen ein besonders wachsames Auge halten. Nach dem Aussteigen in Kehl könnten sie einen Eilzug nach Straßburg nehmen und während des Aufenthalts in der deutschen Stadt vielleicht noch einige Kleidungsstücke kaufen. Vanek holte seine Papiere heraus und betrachtete sie. Bei der Ankunft in Straßburg würden sie drei harmlose Touristen sein, die von einem kurzen Skiurlaub in Bayern zurückkehrten. Jetzt gab es nichts mehr, was sie mit der Tschechoslowakei in Verbindung brachte.
      Léon Jouvel, Rue de l’Épine, Straßburg, war der erste Name auf der Liste, die Oberst Lasalle Alan Lennox ausgehändigt hatte. Der dreiundfünfzigjährige Jouvel war ein kleiner und dicklicher Mann mit einem buschigen grauen Schnurrbart, struppigem grauen Haar und einer schlaffen rechten Hand, die es liebte, die Knie junger Mädchen zu streicheln, wenn ihr Besitzer glaubte, damit durchkommen zu können. Louise Vallon, die in Jouvels Phonogeschäft arbeitete, konnte ihn leicht auf Abstand halten. »Er ist nicht gefährlich«, vertraute sie einmal ihrer Freundin an, »macht sich nur Hoffnungen, aber in jüngster Zeit scheint er ziemlich deprimiert zu sein, beinahe ängstlich …«
     Was Léon Jouvel ängstigte, war etwas, was mehr als dreißig Jahre zurücklag. Es schien zurückgekehrt zu sein, um ihn zu quälen. 1944 hatte er für die im Département Lozère operierende Résistance gearbeitet und war der Funker

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