Nummer Drei: Thriller (German Edition)
schmeckte nach Bagel mit Zwiebeln. Seine Brille verfing sich in meinem Haar, deshalb mussten wir uns danach entwirren. Seitdem war nichts mehr passiert. Die englischen Jungs hatten wohl Angst vor mir oder mochten mich nicht, ich weiß es nicht.
Die meiste Zeit küssten Farouz und ich uns gar nicht. Wir kuschelten nur und hielten Händchen. Hätte mir irgendjemand so etwas erzählt, dann hätte ich vielleicht gekotzt, aber so ist das eben. Wir sind alle Heuchler.
Also saßen wir eng umschlungen dort draußen. Es war, als hätten wir eine eigene kleine Welt in der größeren Welt. Wie die russischen Puppen, die ineinanderstecken. Es war schön warm, über uns schienen die Sterne, am Rumpf der Jacht plätscherten die Wellen.
»So ist unser Land entstanden«, erklärte Farouz mir. »Unsere Sprache auch.«
Wir hatten unsere Finger ineinander verflochten, braun und weiß.
»Was meinst du dami t ?«
»Ein arabischer Mann und eine Frau aus Somalia vor langer Zeit. Hell und dunkel, nur andersherum. Der Mann hieß Darod, was auf Somali Fremder bedeutet. Wahrscheinlich war das gar nicht sein richtiger Name. Die Frau hieß Dombiro. Der Mann wurde von einem Schiff geworfen und schwamm an Land, hier ganz in der Nähe.«
»Warum hat man ihn vom Schiff geworfen?«
»Er war der jüngste Prinz und hatte viele ältere Brüder. Er stammte aus dem Hedschas in Arabien. Als sein Vater starb, erklärten ihm die anderen Prinzen, er müsse ins Exil gehen und dürfe sich nicht um die Thronfolge bewerben. So hatten sie es jedenfalls geplant, aber der Kapitän des Schiffs warf ihn über Bord und nahm seine Habseligkeiten und das Geld an sich. Zuerst hatte Darod große Angst. Das Land, in dem er gestrandet war, erwies sich als heißer, viel heißer als Arabien. Auch die Bäume und Vögel, die er kannte, gab es hier nicht, nur Büsche und Staub. Er fand keinen Schutz vor der glühenden Sonne und fürchtete um sein Leben. Ihm war klar, dass er den Verstand verlieren würde, wenn er das Meerwasser trank.« Farouz deutete zum Land. »Stell dir vor, du landest allein an diesem Strand.«
Ich blickte nach Somalia, das in der Dunkelheit nur als noch dunklerer Umriss zu erkennen war.
»Beängstigend«, gab ich zu.
»Ja. Aber er wurde gerettet. Als er an den Strand kroch und Somalia erreichte, fand Dombiro ihn. Sie war eine schöne Frau aus dem Dirstamm, groß und mit langen, anmutigen Gliedmaßen, mit langem Haar, das schwarz war wie die Nacht und ihr Gesicht umrahmte. Sie war die Häuptlingstochter, er ein Prinz. Er war Araber, sie Afrikanerin. Sie kannten keine gemeinsame Sprache. Doch als sich ihre Blicke begegneten, geschah etwas, und es lag Musik in der Luft. Sie führte ihn in eine Oase und holte ihm Wasser zum Trinken und Feigen zum Essen, die in ihrer Sprache beirda und in seiner tinata hießen.«
»Und sie verliebten sich ineinander?«
»Sie verliebten sich ineinander. Er lehrte sie alles über Mohammed, und sie zeigte ihm, wie man in dem trockenen Land überleben und Vieh züchten konnte, wo man Wasser für die Ziegen fand, die sie hütete. Er brachte ihr das Schreiben bei, die Kultur und die Religion. Sie zeigte ihm, wie man einen Brunnen gräbt, wie man genießbare Beeren findet, wie man die Fährte einer Hyäne erkennt, wo man einer Ziege die Kehle aufschneiden muss – nicht, um sie zu töten, sondern um ein wenig Blut zu gewinnen, das in die Milch gemischt wird, damit sie Stärke verleiht.«
»Igitt«, sagte ich.
»Das würdest du nicht sagen, wenn du am Verhungern wärst. Ich habe es ja schon erwähn t …«
»Alle eure Geschichten handeln vom Hunger, ich weiß.« Ich verdrehte die Augen.
»Du bist eine gute Schülerin«, sagte er herablassend. »Wie Darod.«
»Ich bin in dieser Geschichte Darod? Ich müsste doch das schöne Mädchen Dombiro sein.«
»Nein. Du bist die hellhäutige Fremde, die nicht weiß, wie man in unserem Land überlebt.«
»Na gut, ja. Meinetwegen.«
»Als sie ihn schließlich vorstellte, nachdem sie ihn viele Monate lang in der Oase versorgt hatte, war Dombiros Familie nicht gerade erfreut, Darod zu sehen«, fuhr Farouz fort. »Aber am Ende hießen sie ihn willkommen, wie es bei den Somalis üblich ist. Er kehrte nicht in den Hedschas zurück, und ihre Nachkommen sind bis heute die Einwohner von Puntland.«
»Das ist schön«, sagte ich.
Es gefiel mir wirklich – die beiden stammten aus unterschiedlichen Kulturen und hatten sich trotzdem ineinander verliebt.
»Ja«, stimmte er zu.
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