Nummer Drei: Thriller (German Edition)
verstehen.«
Darauf ließ ich mich nicht ein. Farouz in England? Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken und mir überlegen, welche praktischen Auswirkungen das hätte. Ich wollte nicht die unmöglichen, dummen Vorstellungen zerstören, die mir vorgaukelten, dass wir zusammen waren und zusammenlebten. Sobald ich darüber sprach, zerplatzten sie wie Seifenblasen. Um ihn daran zu hindern, sich weiter in Phantasien zu ergehen, die nicht sein durften, sprach ich rasch weiter.
»Erzähl mir etwas! Erzähl mir etwas aus deiner Jugend! Aus der Zeit vor dem Krieg.«
»Welchen Krieg meinst du? Es gibt viele Kriege.«
»Den Krieg, de r … als deine Eltern gestorben sind. Erzähl mir etwas aus der Zeit davor!«
Ich sah ihn vermutlich zum letzten Mal und wollte etwas mitnehmen. Etwas, das nur mir gehörte.
»Nun gut«, lenkte er ein. »Ich erzähle dir etwas. Aber es ist keine Geschichte über meine Eltern, sondern eine Geschichte über Abdirashid.«
Er erzählte, und ich schloss die Augen und stand unter dem Strahl der Dusche.
Kurz nach 6 . 00 Uhr traten wir aus dem düsteren Korridor auf das Deck und in das volle Sonnenlicht hinaus, das aus allen Richtungen zugleich zu kommen schien. Es war noch früh, die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, und doch herrschte bereits eine große, allumfassende Hitze, der niemand entrinnen konnte.
Farouz war schon da und erwartete uns. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ich nach draußen trat, und wandte sich ab. In der Nacht war der Zerstörer der Marine etwas näher gekommen. Wahrscheinlich sah der Plan es so vor. Auf dem Deck erkannte ich winzige Gestalten, die uns beobachteten. Ahmed hielt sein AK bereit, der Finger lag auf dem Bügel des Abzugs. Alle waren nervös, sogar Farouz trat von einem Fuß auf den anderen und tippte mit dem Daumen auf die Pistole. Vermutlich fürchteten die Piraten, im letzten Moment könne doch noch etwas schiefgehen.
Über die Konsequenzen, die dies für uns hätte, dachte ich geflissentlich nicht weiter nach.
Wenn für sie etwas schiefging, dann ging es auch für uns schief. Aber sie waren diejenigen, die Waffen besaßen.
Ahmed scheuchte uns mit dem Gewehrkolben weiter nach hinten bis zur Tauchplattform, die dicht über den Wellen hing. Wir schlurften hinunter, bis er und Farouz höher standen als wir. Die Wellen schwappten und plätscherten am Holz. Unveränderlich und unbarmherzig brannte die Sonne herab. Ich weiß nicht, wie lange wir dort standen. Irgendwann nahm Dad mich in die Arme. Ich roch seinen Schweiß und dachte daran, wie weit wir von unserem Alltagsleben entfernt waren, wenn mein Dad nach Schweiß statt nach Clinique roch.
Er sah auf die Uhr. Die Piraten hatten sie ihm offenbar nicht weggenommen. Das war ihr Pech, denn seine Patek war vermutlich fast so viel wert wie die ganze Jacht.
»Es ist schon halb sieben«, sagte er. »Was, zum Teufel, treiben die da so lange?«
»Keine Sorge.« Tony hockte auf der Reling und blickte aufs Meer hinaus. »Das sind Profis. Sie halten sich an den Plan.«
Nur von dem Hubschrauber war nichts zu sehen. Wir warteten noch einmal zehn Minuten, zwanzig Minuten. Dann tauchte das Schlauchboot der Royal Navy auf, schoss über die Wellen und näherte sich stetig. Dies entsprach nicht dem Plan. Ich hatte keine Ahnung, was damit beabsichtigt wurde. Es kam mir so vor, als wolle man die Piraten absichtlich ärgern, vielleicht auch nur die Lage erkunden. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Männer im Schlauchboot bewaffnet waren.
Aber Sie wissen ja schon, wie sich alles entwickelte. Ahmed rastete aus und sagte der Marine über Funk, man solle sich zurückziehen, oder er würde eine Geisel töten.
Sogar Dad verlor ein wenig die Beherrschung.
»Verdammter Mist, was machen die da?«, fragte er Tony.
»Immer mit der Ruhe.« Tony hatte Schweißperlen auf der Oberlippe, und seine Finger zitterten. »Das ist nur ein Test. Sie machen einen Test und sehen sich genau um.«
»Mund halten!«, befahl Ahmed sogleich.
Das Schlauchboot kam immer näher.
Schließlich befahl Ahmed Farouz, auf mich zu zielen und mich zu töten. Den Funk ließ er eingeschaltet.
Klick.
So klingt es, als Farouz die Waffe entsichert.
Klick.
Ich schließe die Augen, aber die Sonne ist hinter den Augenlidern nicht weniger grell und obendrein rot. Es wabert, als breite sich Blut im Wasser aus. Ich lausche dem Wellenschlag, rieche das Salz.
Natürlich hatte ich schon mal Angst. Das war aber eine Angst aus der Rubrik Oh, wie
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