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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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jedes Eckchen des eigenen Hauses zu flüchten und alle kleinen Mängel dort zu beseitigen. All diese Fluchtmöglichkeiten hatte ich für mich ausprobiert. Doch das Wichtigste beim Flüchten war, dass man sich ganz auf das Vehikel einließ, das die Flucht ermöglichte, sei es die Arbeit, die Liebe oder das Kind. Um wirklich zu entkommen, musste man bereit sein, sich dem radikal veränderten Leben anzupassen.
    Mein Vater war der lebensbedrohlichen Gefahr entkommen, indem er sich einredete, in Sicherheit zu sein. Meine Mutter war dem Alter entkommen, indem sie einfach zurückspulte, ihr Leben bis zum Anfang zurückdrehte. Ich wardem Schmerz über den Tod meines Mannes entkommen, indem ich in die Stadt meiner Kindheit zurückgekehrt war. In der Hoffnung, so auch meiner Mutter auf ihrem langsamen Weg zurück in die Vergangenheit Halt zu geben.
    Und jetzt, kurz nachdem ich den Neuanfang gewagt hatte, musste ich einem Mann entkommen, der mich offenbar verfolgte. Mein Problem hieß Joe Coffin. Vermutlich war er in mich verliebt oder glaubte das zumindest. Dabei gab es keinen Menschen in meiner näheren Umgebung, mit dem ich weniger zu tun haben wollte. Ich würde mir einiges einfallen lassen müssen, um ihm aus dem Weg zu gehen. Wir hatten denselben Arbeitgeber, und bald würde er auch noch in meinen Stadtteil ziehen, ganz in die Nähe meines Viertels.
    Und so lag ich am Abend auf dem Bett und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Ich stellte mir vor, ich wäre allein in einem tiefverschneiten Wald – einem Wald der Gefühle, in den Joe mich getrieben hatte; denn nachdem ich ihn dort auf der West End Avenue gesehen hatte, erfüllte mich plötzlich eine völlig neue Angst. Aber vielleicht musste ich den Spieß einfach nur umdrehen und Joes Verhalten ignorieren? Ich würde aufhören, ihn zum Aufhören zu bewegen. Ich würde einfach nicht mehr mit ihm reden, Punkt, Schluss, aus. Auch ich würde so tun, als gäbe es nichts, wovor man flüchten musste.
    Ich hatte mein Notebook vor mir und rief das Chatfenster auf, um zu sehen, ob Sara vielleicht online war. Tatsächlich, da war sie und hatte offensichtlich auf mich gewartet.
    «Wie läuft’s bei dir?», fragte sie.
    «Du zuerst.»
    «Melanie hat eine Zahnfleischentzündung und ist heute nicht zur Schule gegangen, stattdessen musste ich mit ihr zum Zahnarzt. Was wiederum hieß, dass ich den Termin mitdem Waschmaschinenreparaturdienst sausenlassen musste, auf den ich seit zwei Wochen warte. Jetzt wird’s also nochmal zwei Wochen dauern. Was wiederum heißt, dass ich in der Zwischenzeit seeehr viel Zeit im Waschsalon des Sündenpfuhls verbringen werde. Hurra!»
    «Hat sie wieder nicht ordentlich Zähne geputzt?»
    «Sieht so aus.»
    «Überprüfst du denn nicht, ob die Zahnbürsten feucht sind?»
    «Wie, ich soll spionieren?»
    «Wenn’s nötig ist.»
    «Wie auch immer, das war der Höhepunkt meines Tages. Jetzt du.»
    «Ich werde von Joe Coffin gestalkt.»
    Es war das erste Mal, dass ich diesen Begriff dafür verwendete, und er erschreckte mich mindestens ebenso sehr wie Sara. Das Chatfenster blieb eine geschlagene Minute lang leer, bis ihre Antwort aufleuchtete.
    «Ach du Schande. Bist du sicher?»
    «Vollkommen.»
    «Und wie schlimm ist es? Reden wir hier von echtem Stalking?»
    «Nein, wahrscheinlich nicht. Ich hätte das Wort vielleicht gar nicht verwenden sollen. Er ist mir einmal sicher gefolgt und eventuell auch noch ein zweites Mal, da bin ich mir nicht ganz so sicher, denn wie du weißt, sehe ich mitunter Gespenster. Außerdem stellt er mir dauernd Frühstück auf den Schreibtisch. Solche Sachen.»
    «Du siehst keine Gespenster. Wenn du glaubst, ihn gesehen zu haben, wird das auch stimmen.»
    «Heute habe ich ihn jedenfalls hundertprozentig gesehen, als ich von meiner Mutter kam. Ich fürchte, ich habe ein echtes Problem.»
    «Geh ihm aus dem Weg.»
    «Wie denn? Wir arbeiten zusammen.»
    «Wie man’s nimmt, Süße. Er arbeitet in der Poststelle, du in der Lokalredaktion. Beachte ihn einfach nicht, wenn du ihm auf dem Flur begegnest oder sonst wo.»
    «Ja, das habe ich mir auch schon überlegt. Aber hoffentlich begreift er das dann auch.»
    «Natürlich begreift er das. Wahrscheinlich schämt er sich längst, weil du ihn heute gesehen hast.»
    «Ja, wahrscheinlich. Es war ihm ja auch peinlich, mich ständig angerufen zu haben. Und das ist ja noch deutlich schlimmer.»
    «Na klar. Er muss sich doch wie der letzte Idiot vorkommen. Vielleicht gibt er ja sogar seine

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