Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
Vom Netzwerk:
Gesicht.
    Das war gestern Nachmittag.

9.
    Jo hatte Moscas Finger im Mund.
    Der Finger bewegte sich langsam um seine Zunge herum, ihr entlang nach hinten und wieder nach vorne. Er blieb liegen wie auf einem Polster, weich und warm lag er da. Jo schloss seine Lippen um den Finger und drückte sie fest zusammen, hielt den fremden Knochen fest in seinem Mund und die Haut und den Nagel, den er spürte unter seiner Zunge in der Grube in seinem Mund.
    Sie waren lange in der Bar gesessen, hatten gelacht und gespielt mit ihren Augen und Worten und den Plastikanhängern am Tisch. Sie hatten getrunken zusammen und erzählt voneinander, dann sind sie hinaus aus der Bar und Mosca hat ihm den Finger in den Mund geschoben, ein wenig abseits im Dunkeln, ein paar Schritte nur von der Bar entfernt, in einer Nische.
    Er hat Jo mit sich gezogen, ihn an der Hand genommen und mit sich gezogen, ihn an die Wand gepresst, ihn angeschaut und ihm den Finger langsam zwischen die Lippen hinein in seinen Mund geschoben.
    Sie haben sich angeschaut. Dann haben sie sich geküsst. Mosca hat den Finger langsam aus Jo heraus­gezogen und ihm seine Zunge in den Mund gesteckt, sie noch langsamer als den Finger in ihn hineinkriechen lassen, sich langsam vorgebeugt, warm die jungen Lippen berührt mit offenem Mund, und langsam den Weg zwischen die fremden Lippen gesucht.
    Jo ist dagestanden, an die Wand gelehnt, hat seinen Mund nicht verschlossen, die Zunge genommen und sie mit seiner berührt, sie umkreist und gespürt, wie sie fleischig auf seiner lag, wie sie nacheinander suchten die Zungen, wie sie die beiden Münder füllten, wie sie hin und her krochen, eindrangen und flüchteten, wie sie einander hinterherliefen, wie sie stehenblieben und auf einander liegenblieben zwischen Lippen und Haut und Zähnen.
    Sie standen zwei Stunden da und küssten sich. Vielleicht auch drei. Mosca drückte Jo sanft mit seinem Gewicht an die Wand, die Hände waren nicht wichtig. Noch nicht. Nur manchmal kamen sie nach oben und berührten Wangen und Haare, sie streiften die Haut, lagen auf den fremden Schultern, mehr nicht. Die Zungen waren wichtig, die Lippen, Jos Mund, die Augen, wenn sich ihre Münder lösten und sie sich anschauten, kurz. Moscas Mund war wichtig, Jos Mund, dass sie sich küssten wie Jugendliche im Park, dass das genügte. Sie waren vorsichtig, sie waren zufrieden mit dem Neuen in ihrem Mund. Sie blieben stehen. Keiner von beiden wollte gehen, einen Schritt machen, das Fremde im Mund loslassen, beide wollten einander schmecken, einander spüren.
    Jo sagte später, es sei ihm passiert, er wollte eigentlich gar nicht, er wollte wieder zu seinen Bildern, aber er konnte sich nicht bewegen, er wollte bei der fremden Zunge bleiben.
    Da hat alles angefangen.
    Jo hatte Mosca in seinen Mund gelassen und Mosca Jo in sein Leben. Alles wurde anders, Moscas Leben veränderte sich nach diesem Kuss. Jo drang in seine ordentliche Welt ein, er machte Flecken in Moscas saubere Tage, er berührte ihn mit seinen blauen Fingern und Mosca ließ es zu, verwirrt, aber glücklich.
    Nach dem Kuss fuhren sie in Moscas Wohnung, mit dem Lift nach oben in Moscas Bett. Jo war beeindruckt von der Aussicht, er stand nackt am Fenster und schaute hinunter auf Frankfurt, hinüber zu den anderen Türmen, zurück in den großen Wohnraum, auf Mosca, wie er da lag und schlief. Er ging zu ihm hin und schaute ihn lange an. Sie hatten sich stundenlang kennen gelernt, jeden Teil von einander, jedes Stück Haut.
    Mosca wohnte noch nicht lange hier, Umzugskisten standen in einem leeren Raum, schön aufeinander gestapelt. Jo ging nackt durch die Wohnung.
    Er erkundete Moscas Welt und sie gefiel ihm.
    Darf ich bei dir wohnen, flüsterte er Mosca ins Ohr.
    Er hatte sich wieder zu ihm gelegt und ihn sanft berührt. Mosca sagte lange nichts. Noch nie hatte er einen Mann mit zu sich genommen, er wollte seine Ruhe nicht teilen, er wollte nicht, dass sein Leben in Unordnung kam, er wollte weit oben wohnen, er wollte mit dem Lift hinauffahren, weg von der dreckigen Straße, in Sicherheit, in seine elegante Wohnung, zu seinen Büchern, an seinen Schreibtisch aus Glas, er wollte weit weg sein von allem, das seinen Alltag stören könnte, er wollte ihn nicht gefährden, er wollte nichts in seinem Leben ändern, es war gut so. Er hatte es organisiert und es gefiel ihm, wie es war. Er hatte nicht überlegt, er hatte Jo mit nach oben gezogen, ihn mit sich genommen, er war mit ihm im Taxi zu seiner Wohnung

Weitere Kostenlose Bücher