Nur dein Leben
NICHT BEUNRUHIGEN – aber neben all dem anderen Stress habe ich heute Nachmittag einen merkwürdigen Anruf erhalten«, eröffnete ihm Naomi zögernd. »Wahrscheinlich ganz harmlos.«
John aß einen Bissen Kabeljau. Er war perfekt zubereitet, wie alles, was Naomi kochte. Mit einem Ohr bei den Nachrichten im Fernsehen, antwortete er: »Inwiefern merkwürdig? Übrigens, das Essen schmeckt köstlich.«
»Danke. Ich habe ein neues Rezept ausprobiert. Findest du die Pilzsauce nicht zu schwer?«
»Nein, sehr lecker. Wer hat denn angerufen?«
»Jemand aus den USA . Ein Mann. Er hat gefragt, ob das der Anschluss der Familie Klaesson sei und ob er mit Naomi Klaesson spreche. Dann hat er aufgelegt.«
John sah sie an, jetzt ganz auf sie konzentriert. »Wann war das?«
»Um kurz nach drei heute Nachmittag.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Nein.«
Johns Blick huschte zum Fenster. Angst stieg in ihm auf wie Schlick in einem aufgewühlten Teich. »Um drei? Hast du eine Ahnung, von wo aus er angerufen hat?«
»Ich habe die Nummer überprüft, aber auf dem Display stand nur
International.
Warum?«
John rechnete nach.
Ostküstenzeit. Zentralzeit. Pazifikzeit.
Gestern im Büro hatte er einen ähnlichen Anruf erhalten. Ein junger Mann mit amerikanischem Akzent hatte gefragt, ob er mit Dr. John Klaesson spreche. Als er ihm antwortete, er sei am Apparat, hatte der Anrufer aufgelegt. Ein Kollege war gerade bei ihm im Büro und obwohl ihm der Anruf etwas merkwürdig vorgekommen war, hatte er ihn, abgelenkt von der Arbeit, rasch verdrängt.
Doch jetzt bereitete er ihm große Sorgen.
Sein Anruf war um Viertel vor drei nachmittags gekommen. An der Westküste wäre es Viertel vor sieben morgens gewesen, an der Ostküste Viertel vor zehn. New York vielleicht? Er konnte von sonst woher gekommen sein. Ein Reporter, der an die Dettore-Story anknüpfen wollte? Möglicherweise. Hoffentlich war es nur das.
Doch ein Reporter wäre am Ball geblieben.
Er stocherte in seinem Fisch herum, schnitt noch ein Stück ab, zog es durch die Soße und fragte sich, ob er es Naomi erzählen sollte. Er beschloss, dass nach der frustrierenden Erfahrung mit der Spielgruppe jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, ihr von seinem Erlebnis zu erzählen und auch nicht von seinem letzten Schachspiel gegen Gus Santiano. Stattdessen fragte er: »Wie viel ist Phoebe seit dem letzten Jahr gewachsen?«
»Sechseinhalb Zentimeter«, antwortete sie.
»Genauso viel wie Luke, stimmt’s?«
»Ja.«
»Und wie viele Blutungen hatte sie?«
»Eine.«
»Die Tabletten scheinen zu wirken«, stellte er fest.
»Bis jetzt schon.«
»Stimmt. Bis jetzt. Was bedeutet, dass sie vermutlich auch in Zukunft wirken werden. Richtig? Und wenn sie weiterhin wirken, wird sie auch weiter wachsen. Stimmt’s?«
Naomi nickte widerstrebend.
»Wir sollten optimistisch sein.«
Nach dem Essen kehrte John in sein Büro zurück. Er hatte sich nie zuvor die Mühe gemacht, seinen Computer mit einem Passwort zu schützen, doch das holte er jetzt nach.
Anschließend loggte er sich in sein Schachprogramm ein, eröffnete sein nächstes Spiel gegen Gus Santiano und schickte den Zug ab. Dann arbeitete er eine Weile.
Um kurz nach Mitternacht fuhr er seinen Computer herunter, ging in die Küche und horchte am Babyphon. Er hörte nur die tiefen, regelmäßigen Atemzüge von Schlafenden. Er schlich hinauf, ging auf Zehenspitzen den Flur entlang zu Lukes und Phoebes Zimmer, öffnete die Tür und spähte hinein.
Im schwachen Licht des Bob-der-Baumeister-Nachtlichts sah er, dass beide fest schliefen. Er hauchte ihnen einen Gutenachtkuss zu und ging ins Schlafzimmer. Naomi schlief ebenfalls. Die Nachttischlampe brannte und ein Buch lag aufgeschlagen auf der Bettdecke. Sie regte sich, als er eintrat.
»Wie spät ist es?«, fragte sie schläfrig.
»Kurz nach zwölf.«
»Ich hatte einen Albtraum – Luke und Phoebe haben uns gejagt. Sie saßen in einem Auto, wir auf Fahrrädern, und sie haben die ganze Zeit gesagt, sie hätten uns lieb und wollten uns nicht wehtun, aber wenn wir nicht schneller führen, müssten sie uns überfahren.«
John beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. »Klingt nach einem klassischen Angsttraum.«
»Es war unheimlich. Ich habe zu ihnen gesagt:
Ihr seid unsere Kinder, ihr solltet uns lieben und uns nicht überfahren.
«
»Und was haben sie geantwortet?«
»Sie haben nur gekichert.«
»Schlaf weiter«, sagte er sanft. Er zog sich aus, schlüpfte in seinen
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