Nur dein Leben
ihr egal, dass man den Ärger aus ihrer Stimme heraushörte.
Eine angenehme, ernste Männerstimme mit amerikanischem Tonfall fragte: »Bin ich richtig bei Klaesson?«
»Ja.«
»Ich würde gerne mit Mrs. Klaesson sprechen.«
»Am Apparat.«
»Mrs.
Naomi
Klaesson?«
Naomi horchte auf. Nach kurzem Zögern fragte sie: »Wer sind Sie?«
»Spreche ich mit Mrs. Naomi Klaesson?«
»Wer ist denn da am Apparat?«
Der Anrufer legte auf.
Naomi starrte einige Augenblicke lang das Telefon an. Ihre Wut wurde von Angst verdrängt, die sich in ihrer Magengrube zu einem Knoten verschlang. Sie beendete die Verbindung und rief ihre Mailbox an.
»Neuer Anruf um fünfzehn Uhr elf. Keine Nummer ermittelt.«
Naomi fiel ein, dass John in seinem Büro einen Anschluss hatte, bei dem die Nummern angezeigt wurden. Das rote Lämpchen für einen eingegangenen Anruf blinkte und sie rief das Display auf. Auf dem winzigen LCD -Bildschirm erschienen die Worte:
15 : 11 International
Ihr lief es kalt den Rücken hinunter.
Es war, als hätte sich ein eiskalter Tentakel quer über den Atlantik gestreckt und ihre Seele ergriffen.
Spreche ich mit Mrs. Naomi Klaesson?
Wer zum Teufel bist du? Was willst du?
Ein Apostel? Ein Apostel des Dritten Jahrtausends?
Sie rannte hinaus in die Diele, schnappte den Autoschlüssel, rannte zur Tür hinaus, öffnete die Zentralverriegelung, rannte zum Auto und riss die hintere Tür auf.
Luke und Phoebe waren nicht da.
Die Zeit blieb stehen. Wie vom Donner gerührt starrte Naomi die leeren Kindersitze an. Dann sah sie sich angsterfüllt um, ihr Blick huschte hierhin und dorthin, zur Scheune mit dem Doppelgaragentor, zum Haus, zu den windgepeitschten Büschen. Laut schrie sie: »Luke! Phoebe!«
Der Regen strömte an ihr herunter.
» LUKE !«, schrie sie erneut, noch lauter, noch panischer. » LUKE ! PHOEBE ! LUKE !«
Sie rannte bis zum Viehgitter und starrte die lange, gerade Zufahrtsstraße hinunter. Eine weiße Plastiktüte flatterte im Wind, gefangen in den Brombeerdornen der Hecke. Keine Spur von den Kindern. Voller Verzweiflung eilte sie zurück zum Haus. » LUKE ! PHOEBE !«
Stolpernd rannte sie um das ganze Haus herum, über die patschnasse, sumpfige Wiese und rief dabei unablässig ihre Namen.
Dann stand sie, eiskalt vor Angst und vollkommen durchnässt vor dem Hintereingang zur Küche.
Sie waren verschwunden.
»Bitte, lieber Gott, tu mir das nicht an. Wo sind sie? Bitte, wo sind sie?«
Sie rannte zurück ins Haus. Das Telefon klingelte. Sie hechtete in Johns Büro und nahm ab. »Jahallo?«
Es war John.
»Sie sind verschwunden!«, schrie sie ihn an. »Jemand hat hier angerufen, und sie sind verschwunden. Oh mein Gott …«
»Schatz? Was soll das heißen? Verschwunden?«
» SIE SIND VERSCHWUNDEN , JOHN , SPURLOS VERSCHWUNDEN , VERDAMMT NOCHMAL ! ICH HABE SIE DRAUSSEN IM AUTO SITZEN LASSEN – OH GOTT …«
»Bitte, Naomi, jetzt erklär mir mal alles ganz genau. Was meinst du damit, dass sie verschwunden sind?«
» SIE SIND VERSCHWUNDEN , KAPIERST DU DAS NICHT ? WAS GIBT ’S DA ZU ERKLÄREN ? JEMAND HAT SIE MITGENOMMEN !«
»Jemand hat sie mitgenommen? Bist du sicher?«
»Nein. Sie sind einfach weg.«
»Wann ist das passiert? Wo … Ich meine, wo hast du bis jetzt überall gesucht?«
» ÜBERALL !«
»Hast du im Haus nachgesehen?«
» SIE WAREN DRAUSSEN IM AUTO , VERDAMMT NOCHMAL !«
»Sieh im Haus nach. Hast du überall gesucht?«
»Neeiiiiin!«, schluchzte sie.
»Naomi, Schatz, such sie im Haus. Schau überall nach. Ich bleibe am Telefon. Sieh in jedem Zimmer nach.«
Naomi rannte ins Wohnzimmer, dann die Treppe rauf und den Flur entlang. Wasser lief ihr über das Gesicht. Die Kinderzimmertür war geschlossen. Sie stieß sie auf und blieb wie angewurzelt stehen.
Luke und Phoebe saßen seelenruhig auf dem Boden und bauten ganz in ihr Spiel vertieft einen Turm aus Legosteinen.
Naomi starrte sie an, hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und totaler Fassungslosigkeit.
»Ich … Ich habe sie gefunden«, sagte sie. »Ihnen ist nichts passiert. Ich habe sie gefunden.«
»Geht es ihnen gut?«
Während sie sich aus dem Zimmer zurückzog, antwortete sie leise: »Ja. Es geht ihnen gut.«
»Wo waren sie denn?«
Für einen Augenblick war sie zu verwirrt und kam sich zu dumm vor, um zu antworten.
»Wo waren sie, Schatz?«
»In ihrem Zimmer!«, fauchte sie. »In ihrem Zimmer, verdammt nochmal!«
»Ist alles in Ordnung mit ihnen?«
»Mit Luke und Phoebe?
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