Nur dein Leben
Oh ja, John, mit ihnen ist absolut alles in Ordnung. Sie sind aus der Spielgruppe rausgeflogen, sie wissen jetzt, wie sie von selbst aus meinem Auto rauskommen und weigern sich, auch nur ein Wort mit mir zu reden. Wenn du
in Ordnung
so definierst, dann sind sie definitiv
in Ordnung.
Unsere Designerbabys sind
in Ordnung.
Alles
in Ordnung
mit ihren Genen.«
»Schatz, ich sage mein Meeting ab und komme sofort nach Hause. In einer halben Stunde bin ich da.«
»Nein, geh zu deinem Meeting. Sag nicht ab. Wir haben schon Probleme genug. Geh zu deinem Meeting.«
»Ich kann sofort nach Hause kommen.«
»Geh zu deinem verdammten Meeting, John!«, schrie sie. »Deine Kinder brauchen dich nicht. Sie brauchen mich nicht. Sie brauchen überhaupt niemanden!«
65
JOHN SASS AUF EINEM STUHL im Kinderzimmer und wollte den Zwillingen noch etwas vorlesen, wie jeden Abend. In den letzten Wochen hatte er den
Grüffelo, Pu der Bär, Aschenputtel
und
Rumpelstilzchen
sowie verschiedene Mister-Men-Geschichten gelesen.
Die Kinder lagen still in ihren Bettchen, mit offenen Augen. Er hatte keine Ahnung, ob sie ihm zuhörten. Sie reagierten überhaupt nicht, wenn eine Geschichte zu Ende war.
Nachdem er beiden einen Gutenachtkuss gegeben hatte, ging er schweren Herzens hinunter in die Küche und mixte sich einen Drink. Naomi telefonierte mit ihrer Mutter.
Er ging mit seinem Drink in sein Büro, setzte sich an seinen Laptop und sah, dass er zwölf neue Nachrichten hatte.
Eine stammte von seinem Schachgegner, Gus Santiano in Brisbane.
Mist!
Es war bestimmt schon eine Woche her, seit Santiano ihm seinen letzten Zug geschickt hatte. Mit schlechtem Gewissen öffnete er die Mail.
Verdammter Fuchs! Wie bist du bloß auf diesen Zug gekommen? Hast du letzte Woche irgendwelche Pillen eingeworfen? Oder Unterstützung gehabt? Vielleicht Unterricht von Kasparow? Ich gebe mich schachmatt, mein Freund. Du bist dran mit der Eröffnung des nächsten Spiels.
John runzelte die Stirn. Hatte der Typ getrunken? Sein letzter Zug war ein defensiver mit einem Bauern gewesen, um einem frühen Angriff des Königs zu entgehen. Was meinte er denn bloß? Spielte Gus Santiano noch mit einem anderen Gegner und hatte sie beide verwechselt?
Er antwortete ihm, er verstehe nicht, was er meine.
Zu seiner Überraschung erhielt er zehn Minuten später eine Antwort mit einem Anhang.
Du hast wohl Alzheimer, John. Hier sind die Züge, die du mir diese Woche geschickt hast.
John öffnete den Anhang. Erstaunt sah er sechs E-Mails von ihm an Santiano, an jedem Tag der vergangenen Woche eine, jedes Mal mit einem neuen Zug, einschließlich Santianos Antworten.
Unmöglich! Er konnte sich an nichts erinnern. Er konnte das gar nicht getan haben.
Er rief das Schachprogramm auf und gab den Befehl, das letzte Spiel Zug um Zug zu wiederholen. Die Züge, die Gus Santiano ihm zugeschrieben hatte, waren raffiniert, das sah er auf den ersten Blick. Äußerst raffiniert.
Aber sie stammten nicht von ihm.
Er überprüfte die E-Mails noch einmal. Alle waren mit seiner Adresse von seinem Computer aus gesendet worden. Doch kein anderer benutzte seinen Computer, und Naomi konnte es sowieso nicht gewesen sein, denn sie spielte kein Schach.
Fassungslos zog er eine Olive aus seinem Drink und kaute nachdenklich darauf herum.
Sechs Züge.
Ein Hacker? Möglich, nur ließ er den Computer weder zu Hause noch im Büro jemals online.
Er durchsuchte seine gesendeten Mails und fand tatsächlich jede einzelne. Er markierte eine und überprüfte noch einmal die Quelle. Die Nachricht war von seinem Computer aus gesendet worden, und zwar letzten Samstag um 02 : 45 Uhr. Die nächste war am Sonntag um 03 : 00 Uhr abgeschickt worden. Die nächste am Montag um 02 : 48 Uhr. Die nächsten drei zu ähnlichen Zeiten am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag.
Werde ich verrückt? Schlafwandle ich und spiele Schach?
Er leerte den Martini in einem Zug. Doch diesmal verfehlte der Drink seine übliche berauschende Wirkung. Mitten in der Nacht benutzte jemand seinen Computer und spielte an seiner Stelle Schach. Entweder war es ein Hacker, oder …
Er blickte zur Zimmerdecke.
Na klar, John, deine beiden zweieinhalbjährigen Kinder schleichen sich mitten in der Nacht in dein Arbeitszimmer, spielen Schach und ziehen dabei einem Halbfinalisten bei den letzten offenen Meisterschaften in Queensland die Hosen aus. Das ist ja wohl nicht dein Ernst?
John war ratlos. Er hatte keine Erklärung dafür.
66
»ICH WOLLTE DICH
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