Nur dein Leben
gewissem Abstand – seiner Vermutung nach eher wegen der vier unmarkierten Riffe als aus Respekt vor der Privatsphäre der Mönche.
Zu den Neuerungen gehörte auch der Laptop, der neben der Bibel auf dem einfachen Holztisch in Harald Gatwards enger Zelle stand. Der Abt war über die Bitte um seine Erlaubnis erstaunt gewesen, aber wie konnte er dem Amerikaner etwas abschlagen, den die Jungfrau Maria zur Rettung ihres Klosters hierher geführt hatte?
Alle weiteren Versuchungen des modernen Lebens blieben außerhalb der Klostermauern, verbannt in das kleine Dorf, wo die Apostel mit ihren Frauen lebten. Den Aposteln war es erlaubt, in der Klosterkirche den Gottesdienst zu feiern und zusammen mit dem Abt und den anderen vier Mönchen schweigend im herrlichen, freskengeschmückten Refektorium zu speisen, den Frauen jedoch war der Zutritt untersagt. Aus Respekt vor den Gebräuchen der Mönche hatte Gatward es den Frauen zudem verboten, die Klostermauern zu durchschreiten.
Um Mitternacht unterbrach Harald Gatward wie üblich seine Vigil. Er war sehr zufrieden mit der Arbeit seiner Apostel. Fünf Paare der Satansbrut waren jetzt ausgelöscht. Drei davon waren in die Schlagzeilen geraten, das vierte jedoch, das bei einem Autounfall in Italien gestorben war und das fünfte, das in Singapur einen Hubschrauberabsturz nicht überlebt hatte, waren nicht aufgefallen. Dennoch hatte er seine Apostel sicherheitshalber heimgerufen, bis sich die Wogen geglättet hatten.
Augenblicklich war nur noch ein Apostel im Einsatz. Er war gut, in ihm loderte die wahre Leidenschaft. Bald war es an der Zeit, auch ihn heimzurufen und ihm seine Belohnung zu schenken: die süße Lara, die unten im Dorf geduldig und devot wartete.
Soeben hatte er eine kurze E-Mail von Timon Cort erhalten:
Wenn ich mich auf den Schwingen der Morgendämmerung erhebe, wenn ich mich am anderen Ende des Ozeans niederlasse, wird mich selbst dort deine Hand geleiten, deine rechte Hand mich stützen.
Harald Gatward schloss die Augen und bat die Jungfrau Maria, ihm die Antwort zu diktieren.
72
LUKE UND PHOEBE KNIETEN auf dem Küchenfußboden, völlig fasziniert von ihren beiden Meerschweinchen.
Karamell war beige-weiß gestreift, Nutella dunkelbraun und weiß. Sie waren niedlich, hatten glattes Fell, schwarze, nackte Ohren und winzige Pfoten und gaben lustige leise Quieklaute von sich.
Liebevoll sah Naomi zu, wie Luke und Phoebe mit ihnen spielten. Jedes Kind fütterte seinem Meerschweinchen eine Möhre, damit es seine tägliche Dosis Vitamin C bekam. Es war das erste Mal, dass die Zwillinge echte Zuneigung zeigten, wobei sie sich fragte, wie lange es dauern würde, bis die Tiere sie langweilten.
Nur noch fünf Wochen bis Weihnachten. Naomi liebte Weihnachten, liebte es, den Baum aufzustellen und zu schmücken, liebte das viele gute Essen, den Einkauf und das Verpacken der Geschenke. Und dieses Jahr waren Luke und Phoebe alt genug, um das alles bewusst mitzuerleben.
Sie hoffte, es würde schneien. Weiße Weihnachten hier draußen wären wunderbar! Naomis Mutter und Schwester kamen am Weihnachtsabend und wollten bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag bleiben und Johns Mutter kam aus Schweden und blieb die ganze Weihnachtswoche über. Carson, Caroline und ihre Kinder kamen am Vierundzwanzigsten zu einem feucht-fröhlichen schwedischen Weihnachtsessen, und dazu gesellten sich auch noch Rosie und Gordon und ihre Kinder. Wie wunderbar das werden würde – turbulent, aber toll!
Allmählich ebbte der Ärger ein wenig ab, der seit dem Termin bei Dr. Michaelides an diesem Morgen in ihr gebrodelt hatte.
Sie fühlte sich von dieser Frau gedemütigt. Anschließend im Auto hatte John gemeint, sie sei überempfindlich, doch sie hatte ihm widersprochen. Sie hatte das Gefühl gehabt, als hätten sie und John vor Gericht gestanden. Nun ja, natürlich hatten sie ihr nichts von Dettore erzählt, aber …
Sie wurde von John aus ihren Gedanken gerissen, der im Trainingsanzug erhitzt und verschwitzt von einem langen Lauf über die Downs zurückkehrte. Er war heute nach ihrem Termin bei Dr. Michaelides zu Hause geblieben, und Naomi war froh, dass er Laufen gegangen war. In letzter Zeit hatte er unglaublich viel gearbeitet und wesentlich weniger trainiert als früher.
»Hi, Luke! Hi, Phoebe! Hi, Karamell! Hi, Nutella!«, grüßte er außer Atem. Die Kinder reagierten nicht.
»Und, wie war’s?«, fragte Naomi.
»Zehntausend Meter – herrlich!« Er wischte sich über die Stirn und
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