Nur dein Leben
schniefte. Sein Gesicht glühte von der Anstrengung und seine Haare waren verstrubbelt. Naomi gefiel es, wenn er so ruppig aussah. »Zweiundfünfzig Minuten, aber es ging auch einen Kilometer lang fast senkrecht nach oben.«
»Nicht schlecht!«, lobte sie. »Du hattest drei Anrufe – einen von Carson und zwei andere aus dem Büro. Ich habe dir die Notizen auf den Schreibtisch gelegt.«
»Danke.« Er sah auf die Uhr und dann hinunter auf die Kinder. »Wie geht’s Karamell, Phoebe?« Zunächst antworteten sie lange nicht. Dann sagte Luke, ohne seinen Vater anzuschauen: »Karamell is mein Meerweinchen. Phoebes is Tella.«
»Ach ja, stimmt, Daddy hat sie verwechselt. Also, wie geht es Karamell, Luke?«
Luke neckte das Meerschweinchen mit einem Leckerli, das er an einem Bindfaden befestigt hatte und dem Tier immer wieder wegzog, wenn es hineinbeißen wollte. Das frustrierte Meerschweinchen quiekte; ein Geräusch, als würde man Glas polieren. Luke lachte und zog das Leckerli wieder weg.
John kniete sich hin und schob dabei ein Buch beiseite, das auf dem Boden lag. »Du solltest ihm ab und zu eine Belohnung geben, sonst langweilt es sich und hört auf zu spielen.«
Das Meerschweinchen näherte sich und wieder zog Luke am Bindfaden. Was sein Vater sagte, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Jetzt befestigte Phoebe einen Faden an einem anderen Leckerli und fing an,
Tella
zu ärgern.
John fühlte sich ausgeschlossen. Erneut hatten die Kinder diese verdammte Mauer zwischen sich und ihren Eltern errichtet.
»Es wird Zeit, sie ins Bett zu bringen, Schätzchen«, sagte Naomi.
Keine Reaktion, weder von Luke noch von Phoebe.
»Luke und Phoebe, setzt die Meerschweinchen in ihren Käfig, dann müsst ihr auch ins Bett!«, mahnte Naomi.
Phoebe griff in den Stall, nahm das Wasserschälchen heraus, ging zur Spüle, stieg auf einen Stuhl und ließ Wasser laufen. Sie prüfte die Temperatur mit dem Zeigefinger, wartete, bis es kalt war, füllte die Schüssel für die Tiere und stellte sie zurück in den Käfig.
Obwohl er sich gerade eben noch so geärgert hatte, beobachtete John sie voller Stolz. Das war seine Tochter! Versorgte ihr Haustier, ganz allein!
Luke nahm die Schachtel mit Trockenfutter und schüttete Pellets in den Futternapf. Dann kniete er sich hin, hob Karamell auf und setzte ihn ins Stroh auf dem Käfigboden. Phoebe neckte Nutella noch einmal mit einem Leckerli, nahm sie dann hoch, küsste sie auf die Schnauze und setzte sie so vorsichtig ins Käfigstroh, als sei sie eine unbezahlbare chinesische Porzellanfigur.
John und Naomi badeten die Kinder zusammen und John brachte sie zu Bett.
»Sagst du Karamell noch Nacht?«, fragte Luke.
»Na klar.«
»Sagst du Tella noch Nacht?«, bat Phoebe.
»Natürlich, Liebling.«
John verließ das Zimmer und schloss die Tür. Er strahlte. Sie hatten ihn um etwas gebeten! Wow! Ein Fortschritt!
Er sprang die Treppe hinunter, ging in die Küche und kniete sich vor den Käfig. Beide Tiere hatten sich im Stroh zusammengerollt.
»Luke und Phoebe sagen euch gute Nacht!«
Es duftete lecker nach Essen. Naomi beugte sich über den Herd und rührte in einer Pfanne. Gedankenverloren sah sie ihn an.
»Ich fall gleich um vor Hunger«, sagte John. »Was gibt es denn?«
»Unsere Empfehlung heute Abend ist gebratenes Meerschweinchen auf Buchweizenpfannkuchen mit einer Beilage von Kinderpsychologinnen-Süßholz«, erwiderte Naomi. »Eigentlich wollte ich Gulasch aus ihrem Gehirn machen, aber es war zu wenig da, es hätte nicht gereicht.«
John legte einen Arm um sie. »Jetzt geh nicht zu hart mit ihr ins Gericht – immerhin verhilft sie den beiden zu einer zweiten Chance in der Spielgruppe.«
»Sie war richtig gemein«, entgegnete Naomi.
»Jetzt versetz dich doch mal in ihre Lage.«
Sie starrte ihn an. »Wie bitte?«
»Wir haben ihr etwas verheimlicht.«
»John, sie hat uns vorgeworfen, ganz allein für das Verhalten der Kinder verantwortlich zu sein. Sie hat es nicht ausgesprochen, aber sie hat angedeutet, dass die Probleme mit Luke und Phoebe daher rühren, dass wir schlechte Eltern sind. Das ist nicht wahr, das weißt du ganz genau!«
»Sie machen doch Fortschritte. Sie sprechen auch schon besser. Vielleicht brauchen wir gar keine Psychologin, sondern einfach ein bisschen mehr Zeit. Schau doch nur mal, wie sie mit ihren Meerschweinchen gespielt haben und wie lieb sie sie haben. Oder?«
»Ja, es ist schön, das zu sehen. Noch schöner wäre es, wenn sie sich uns
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