Nur dein Leben
hatte und der im australischen Brisbane lebte.
Schon seit ein paar Jahren spielte er mit diesem Mann, doch sie waren sich außerhalb des Cyberspaces nie begegnet und John wusste nicht einmal, wie sein Gegner aussah. Der Aussie war ein hervorragender Spieler, doch in letzter Zeit benötigte er für seine Züge immer mehr Zeit und zögerte hoffnungslose Positionen hinaus, aus denen es kein Entkommen mehr gab, einfach aus reiner Sturheit. John wurde langsam langweilig, und er dachte darüber nach, sich einen anderen Gegner zu suchen. Jetzt hatte der Mann schon wieder einen vollkommen sinnlosen Zug gemacht.
»Rutsch mir den Buckel runter, Mr. Santiago!«
Santiago stand kurz vor dem Schachmatt – er lag eine Königin, beide Läufer und einen Turm im Rückstand, er hatte keine Chance –, also warum gab er sich nicht einfach geschlagen und basta? John unterbreitete ihm in einer E-Mail diesen Vorschlag und stöpselte sein Handy in den Computer ein, um sie zu senden, doch er fand kein Netz.
Er erkannte, dass sie zu weit draußen auf See waren. Zwar stand neben dem Bett ein Telefon mit Satellitenverbindung zum Festland, aber die Gebühr von neun Dollar pro Minute, wie der Informationsaufkleber angab, war ihm zu hoch. Er würde Gus Santiago ein wenig auf die Folter spannen müssen.
John schloss seine Schachdatei und öffnete sein E-Mail-Postfach, um die Dutzenden Nachrichten zu bearbeiteten, die er heute Morgen heruntergeladen hatte, aber noch nicht hatte lesen können. Eine leichte Panik beschlich ihn bei der Frage, wie er E-Mails senden und empfangen sollte, wenn sie für den kommenden Monat keinen Empfang hatten. An der Universität von Südkalifornien, an der er sein Forschungslabor leitete, erhielt er durchschnittlich hundertfünfzig E-Mails pro Tag. Heute waren es sogar eher an die zweihundert gewesen.
»Wie interessant, Schatz! Kannst du dich daran erinnern, das hier gelesen zu haben?«
John blickte auf und sah, dass sie die Broschüre aufgeschlagen hatte.
»Es gibt nur zwanzig Privatkabinen für die Klienten. Ein netter Euphemismus. Gut zu wissen, dass wir als Klienten und nicht als Patienten betrachtet werden.« Sie las weiter.
»Früher transportierte das Schiff fünfhundert Passagiere, jetzt sind die beiden Hauptdecks, auf denen sich die Kabinen befanden, vollständig mit Computern belegt. Sie haben fünfhundert Supercomputer an Bord! Das ist ja unglaublich! Wozu brauchen sie so viel Rechenkapazität?«
»Die Genetik erfordert die Verarbeitung großer Datenmengen. Das ist ein Grund, warum wir so viel Geld bezahlen mussten. Lass mich mal sehen.«
Sie reichte ihm die Broschüre. Er betrachtete das Foto einer langen, schmalen Reihe von blauen Computergehäusen und einem weißgekleideten Techniker, der etwas auf einem Monitor kontrollierte. Dann blätterte er zum Anfang der Broschüre und starrte auf das Foto, das er sofort wiedererkannte: von der Website des Forschers, den Interviews mit ihm im Fernsehen und den zahlreichen Bildern, die sowohl in der wissenschaftlichen als auch der Tagespresse erschienen waren. Dann las er die Biographie des Forschers, obwohl er sie größtenteils schon kannte.
Dr. Leo Dettore war ein Wunderkind gewesen. Nachdem er mit sechzehn sein Biologiestudium am MIT mit Magna cum laude abgeschlossen hatte, machte er seinen Doktor in Philosophie und Medizin an der Stanfort University, gefolgt von biotechnologischen Postdoc-Forschungen an der USC und anschließend am Pasteur-Institut in Frankreich, bevor er die Modifikation eines entscheidenden Enzyms entdeckte und patentieren ließ, das die Vervielfältigung von Genen unter Laborbedingungen erlaubte. Seine Entdeckung machte ihn zum Milliardär und zum Empfänger des hochdotierten Geniepreises der MacArthur Stiftung. Sogar den Nobelpreis wollte man ihm verleihen, doch er nahm ihn nicht an. Er beleidigte die wissenschaftliche Gemeinschaft, indem er behauptete, alle Preise seien von der Politik beschmutzt.
Der Wundergenetiker hatte das medizinische Establishment umso mehr schockiert, als er zu den Ersten gehörte, die sich menschliche Gene patentieren ließen und er aktiv die Gesetzgebung bekämpfte, die daraufhin Patente auf menschliches Erbgut untersagt hatte.
Leo Dettore gehörte augenblicklich zu den reichsten Wissenschaftlern der Welt und vermutlich auch zu den umstrittensten. Er wurde von religiösen Führern in den ganzen USA und zahlreichen anderen Ländern angeprangert und hatte in den Vereinigten Staaten die Approbation
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