Nur dein Leben
als Arzt verloren, weil er öffentlich zugegeben hatte, genetische Experimente an Embryonen durchgeführt zu haben, die anschließend ausgetragen wurden. Dennoch stand er unerschütterlich zu seinen Überzeugungen.
Und jetzt klopfte er an ihre Kabinentür.
3
NAOMI ÖFFNETE UND WURDE von einem hochgewachsenen Mann begrüßt, der einen braunen Umschlag in der Hand hielt. Er trug den weißen Overall und die dazugehörigen Turnschuhe, die offensichtlich zur Dienstuniform des Schiffs gehörten. John, der ihn sofort erkannte, stand auf.
Die imposante Gestalt des Genetikers überraschte ihn. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Mann musste über zwei Meter groß sein, einen Kopf größer als er. Seine Stimme mit dem entwaffnenden, aber bestimmten südkalifornischen Akzent war John durch ihre Telefongespräche in den letzten Monaten vertraut.
»Dr. Klaesson? Mrs. Klaesson? Ich bin Leo Dettore. Ich hoffe, ich störe nicht!«
Der Mann, dem sie gerade praktisch jeden Cent überwiesen hatten, den sie besaßen, plus hundertfünfzigtausend Dollar, die sie nicht besaßen, schüttelte Naomi fest und gelassen die Hand und sah ihr dabei ins Gesicht. Seine Augen waren von einem sanften Grau, scharf, aufmerksam und gütig. Naomi rang sich ebenfalls ein Lächeln ab, warf einen raschen, entsetzten Blick auf die verstreute Kleidung ringsumher und wünschte inständig, sie hätte Zeit zum Aufräumen gehabt. »Nein, Sie stören uns überhaupt nicht. Bitte treten Sie ein«, sagte sie.
»Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen, mich vorstellen und Ihnen einen Stapel Lesestoff bringen.« Der Genetiker musste beim Betreten der Kabine den Kopf einziehen. »Schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen, Dr. Klaesson.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Dr. Dettore.«
Dettores Händedruck war kräftig, und die Initiative ging von ihm aus, was anscheinend in jeder Hinsicht typisch für ihn war. John war einen Moment lang verunsichert. Dettore schien ihm mit seinem Lächeln etwas sagen zu wollen, als bestehe ein geheimer Pakt zwischen ihnen – vielleicht ein stillschweigendes Abkommen zwischen zwei Wissenschaftlern, die wesentlich mehr davon verstanden, worum es hier ging, als Naomi es je vermocht hätte.
Doch gerade das hatte John niemals gewollt. Er und Naomi hatten diese Entscheidung vom ersten Tag an gemeinsam, bewusst und auf Augenhöhe getroffen. Er würde nie etwas vor ihr verbergen oder ihr gegenüber Tatsachen beschönigen oder verzerrt wiedergeben. Basta.
Leo Dettore war schlank und gebräunt, hatte distinguierte südländische Züge und strahlte Selbstvertrauen und Charme aus. Sein Gebiss war regelmäßig und weiß, sein Haar dunkel und üppig mit eleganten silbernen Strähnen an den Schläfen. Obwohl er bereits zweiundsechzig war, hätte man ihn leicht für gut zehn Jahre jünger halten können.
Naomi musterte ihn eingehend, auf der Suche nach irgendwelchen Rissen in seiner Fassade. Sie versuchte, diesen Fremden einzuschätzen, in dessen Hände sie ihre gesamte Zukunft gelegt hatten. Sie studierte seine Mimik und seine Körpersprache und war beim ersten Eindruck enttäuscht. Wie sie gelesen hatte, umgab ihn jene Aura, die nur die sehr Reichen und sehr Erfolgreichen besaßen, eine fast undefinierbare Eigenschaft, die offenbar nur mit großem Wohlstand einherging. Er sah zu glatt aus, zu medientauglich, zu sehr wie ein Präsidentschaftskandidat auf Stimmenfang, zu sehr wie ein Industrieller, der eine Aktionärsversammlung beschwatzte. Seltsamerweise stellte sie jedoch fest, dass ihr Vertrauen in ihn wuchs, je länger sie ihn ansah, denn trotz allem strahlte er auch Aufrichtigkeit aus.
Seine Hände waren bemerkenswert. Er hatte schlanke Finger, nicht die eines Politikers oder eines Geschäftsmanns, sondern richtige Chirurgenfinger, lang, behaart, mit makellos gepflegten Nägeln. Auch seine Stimme gefiel ihr, die ehrlich und beruhigend klang. Überdies vermittelte schon allein seine physische Präsenz eine gewisse Sicherheit. Dann rief sie sich jedoch, wie so oft in den letzten Wochen, das Titelbild des
Time Magazine
ins Gedächtnis, das erst vor wenigen Monaten ein Foto von Leo Dettore mit dem Titel: DER FRANKENSTEIN DES 21 . JAHRHUNDERTS ? publiziert hatte.
»Wissen Sie«, sagte Dr. Dettore, »ich bin wirklich fasziniert von Ihrer Arbeit, Dr. Klaesson – vielleicht haben wir in den nächsten Tagen Gelegenheit, uns darüber zu unterhalten. Ich habe den Artikel gelesen, den Sie vor einigen Monaten
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