Nur dein Leben
Tischchen eingelassen war, und sofort erschien eine lange Liste.
Bipolare affektive Störung
Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätsstörung
Manische Depression
Angstneurose
Glomerulosklerose
Hypernasalität
Vorzeitiger Haarausfall/Alopezie
Kardiomyopathien
Degeneration des Sehnervs
Retinopathia Pigmentosa (Netzhautdegeneration)
al-Antitrypsinmangel
Marfan-Syndrom
Hypernephrom
Osteopetrose
Diabetes mellitus
Burkitt-Lymphom
Morbus Crohn. Enterocolitis regionalis
(weiter auf Seite 2 )
»Für all diese Krankheiten trage ich Gene in mir?«, fragte Naomi entsetzt.
Dr. Dettores Stimme klang leicht amüsiert. »Ja, Sie tragen einige Gene, die für diese Krankheiten verantwortlich sind. Ich will Sie nicht ängstigen, Mrs. Klaesson, aber es folgen noch weitere sechzehn Seiten.«
»Von der Hälfte dieser Krankheiten habe ich noch nie etwas gehört.« Sie sah John an, der ausdruckslos auf den Bildschirm starrte. »Kennst du sie?«
»Nein, nicht alle.«
Naomi richtete den Blick auf den dicken Stapel von Formularen, der vor ihr und John auf dem Tisch lag. Seitenweise kleine Kästchen, die abgehakt oder angekreuzt werden mussten.
»Glauben Sie mir«, sagte Dettore, »kein einziges dieser Gene werden Sie an Ihre Kinder weitergeben wollen.«
Wieder starrte Naomi die Liste auf dem Bildschirm an und versuchte krampfhaft, sich zu konzentrieren. Alles kommt anders, als man glaubt, dachte sie. Ihre Kehle war trocken wie Pergament, und sie schmeckte Galle. Seit ihrer Ankunft hatte sie nichts als eine Tasse Tee und zwei Bissen trockenen Toast hinuntergewürgt. Die See war zwar heute Morgen ruhiger, wie Dr. Dettore prophezeit hatte, aber das Schiff schwankte noch immer ganz schön heftig.
»Was ist ein Hypernephrom?«, fragte sie.
»Ein Nierenzellkarzinom.«
»Und Osteopetrose?«
»Wirklich ein bemerkenswerter Befund.«
Entgeistert starrte sie ihn an. »Bemerkenswert? Inwiefern?«
»Weil diese Erbkrankheit sehr selten vorkommt. Sie ist auch als Albers-Schönberg- oder Marmorknochenkrankheit bekannt und bewirkt eine Verdickung der Knochen. Es wurde viel darüber diskutiert, ob sie erblich ist oder nicht – eine Frage, die die Genetik inzwischen beantworten konnte. Wissen Sie, ob diese Krankheit in Ihrer Familie schon einmal aufgetreten ist?«
Naomi schüttelte den Kopf. »Diabetes«, sagte sie. »Ich weiß, dass es in unserer Familie Fälle von Diabetes gegeben hat. Mein Großvater war zuckerkrank.«
Dr. Dettore blätterte per Tastatur zur nächsten Seite, dann zur übernächsten. Die Liste verwirrte Naomi. Als sie die letzte Seite erreichten, sagte sie: »Eierstockkrebs ist in meiner Familie aufgetreten – eine meiner Tanten ist mit Mitte dreißig daran gestorben. Das verantwortliche Gen dafür habe ich nicht gesehen.«
Dettore blätterte drei Seiten zurück und zeigte mit dem Finger darauf.
Bedrückt nickte Naomi, als sie es jetzt ebenfalls entdeckte. »Das bedeutet also, dass ich auch dieses Gen in mir trage?«
»Jedes einzelne, das hier gelistet ist.«
»Und warum lebe ich dann noch?«
»Ob Gene aktiv werden oder nicht, gleicht einem Lotteriespiel«, antwortete der Genetiker. »Die Anlagen für Dreyens-Schlemmer, der Krankheit, die Ihren Sohn auf dem Gewissen hat, werden zum Beispiel rezessiv vererbt. Sie oder Dr. Klaesson können problemlos mit ihnen leben, ohne je zu erkranken. Nur wenn Sie ein Kind zeugen und dieses die Dreyens-Schlemmer-Gene beider Eltern erbt, bricht die Krankheit aus. Manche Krankheitsgene, die Sie tragen, können durch äußere Faktoren aktiviert werden, von denen wir viele bisher noch nicht kennen. Lebensalter, Rauchen, Umwelt, Stress, Schock, Unfälle – all das kann als Auslöser für bestimmte Gene wirken. Selbst wenn Sie alle Anlagen auf dieser Liste in sich tragen, könnte es sein, dass Sie niemals an einer der entsprechenden Krankheiten leiden werden.«
»Aber ich werde diese Anlagen an jedes Kind weitergeben, das ich gebäre?«
»Unter normalen Umständen würden Sie auf jeden Fall einige davon vererben. Wahrscheinlich in etwa die Hälfte. Die andere Hälfte seiner Gene würde das Baby von Ihrem Mann erben – seine Liste werden wir uns anschließend ansehen.«
Naomi versuchte, für einen Moment abzuschalten, auf Distanz zu gehen und nüchtern zu überlegen. Schizophrenie. Herzerkrankungen. Muskeldystrophie. Brustkrebs. Eierstockkrebs. »Dr. Dettore, Sie haben all diese Krankheitsgene identifiziert, die ich in mir trage, aber können Sie auch etwas dagegen
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