Nur dein Leben
eindringlich an.
»Und wie definierst du ›Gemeinwohl‹?«, fragte John, der sich auf einmal etwas unbehaglich fühlte.
Dicks spülte sein Essen mit einem Schluck Wein herunter. Ein Stück Teig war in seinem Bart hängen geblieben und John ertappte sich dabei, dass er es beobachtete und darauf wartete, dass es herunterfiel.
»Ich möchte mit dir etwas besprechen, worüber wir bisher noch nicht geredet haben. Viele hier haben das fatale Interview gelesen, das du in den USA gegeben hast. Aber, typisch britisch, niemand will dich darauf ansprechen, um dich nicht in Verlegenheit zu bringen.«
»Warum hast du das nie zuvor erwähnt?«, fragte John.
Dicks zuckte mit den Schultern. »Ich habe darauf gewartet, dass du davon anfängst. Wobei ich dich als Wissenschaftler schätze und mir sicher bin, dass du niemals irgendetwas getan hättest, ohne im Vorfeld äußerst gründlich darüber nachzudenken und zu recherchieren.« Er brach ein Stück Brötchen ab und bestrich es mit Butter. »Und natürlich muss die Presse es falsch dargestellt haben. Designerbabys sind bisher nicht möglich, oder?« Mit einem breiten Grinsen sah er John durchdringend an, als warte er auf eine Bestätigung.
»Natürlich wurde es falsch dargestellt.« John stieß ein hohles, künstliches, unbehagliches Lachen aus.
»Wie geht es Luke und Phoebe?«
»Ausgezeichnet.«
»Und Naomi?«
»Sie ist fix und fertig, aber glücklich, zurück in England zu sein.«
Schweigend aßen sie ein paar Minuten lang, dann sagte Dicks: »John, wenn du dir einmal etwas von der Seele reden willst, absolut vertraulich, dann kannst du dich jederzeit an mich wenden. Das weißt du, oder?«
»Ja, und ich danke dir dafür«, erwiderte John.
Dicks griff wieder nach seinem Glas. »Weißt du noch, was Einstein damals in den 1930 -ern gesagt hat? Er hat sich die Frage gestellt: Warum bringt uns die Wissenschaft so wenig Glück?«
»Und, wusste er eine Antwort darauf?«
»Ja. Er sagte, es läge daran, dass wir bisher nur so wenig sinnvollen Nutzen daraus zögen.« Wieder starrte er John forschend an.
John senkte den Blick auf sein Essen und drehte dann sein Glas zwischen den Fingern. Er geriet in Versuchung, seine Verlegenheit mit Alkohol zu betäuben. Doch schon das erste Glas war ihm ein wenig zu Kopfe gestiegen, und er war entschlossen, nicht noch einmal den Fehler zu begehen, sich jemandem zu öffnen, nicht einmal einem Menschen, dem er so sehr vertraute wie Carson Dicks.
Er erinnerte sich daran, aus welchen Gründen er und Naomi ihre Entscheidung getroffen hatten und dachte an die beiden zauberhaften Kinder, die sie bekommen hatten. Zwei Kinder, die ohne die Hilfe der Wissenschaft niemals auf die Welt gekommen wären.
»Einstein hat sich in vielem geirrt«, bemerkte er.
Carson Dicks lächelte.
43
JOHN FÜHLTE SICH DEFINITIV UNSICHER auf den Beinen, als er mit seinem Chef zusammen vom Parkplatz zurückkehrte, die Hände in den Taschen und den Mantel gegen den Märzwind bis obenhin zugeknöpft. Er betrat die schäbige Lobby des heruntergekommenen, vierstöckigen roten Backsteingebäudes, kurz B 11 genannt, das das Zentrum für Künstliches Leben beherbergte.
Er hatte gegen seinen Vorsatz verstoßen, nur ein Glas mit Carson zu trinken, und gemeinsam hatten sie sich schließlich zwei Flaschen Wein und hinterher noch einen Brandy genehmigt. Irgendwie war es ihnen im Alkoholnebel gelungen, den Aufbau des Experiments festzulegen, mit dem John sich in den kommenden drei Monaten beschäftigen würde. Er war sich nicht sicher, wie Carson es geschafft hatte, zurückzufahren, aber er hatte immer schon gern dem Alkohol zugesprochen und vertrug vielleicht deshalb mehr.
»Caroline hat nächste Woche Geburtstag«, sagte Dicks. »Am Samstag geben wir eine kleine Dinner Party – könntet ihr euch vielleicht loseisen, du und Naomi?«
»Sehr gerne – ich frage mal meine Familienmanagerin«, versprach John. »Danke für die Einladung.«
An den Wänden blätterte die Farbe ab und überall hingen Gesundheits- und Sicherheitshinweise, daneben ein Poster mit einer Konzertankündigung, eines für einen Kofferraumverkauf und dazu eine Liste, auf der man sich für eine dreitägige Exkursion nach Cern in der Schweiz eintragen konnte.
Sowohl John als auch Carson ignorierten den langsamen, altersschwachen Lift und nahmen die vier Treppen zu Fuß. Oben legte Carson Dicks onkelhaft den Arm um ihn.
»Ich habe es ernst gemeint, John. Wenn du jemals über etwas reden möchtest, bin ich
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