Nur dein Leben
den vollen Apostelstatus erhalten. Man würde ihn mit Lara verheiraten, einer Frau, von der er vorher nie zu träumen gewagt hätte. Sie hatte lange dunkle Haare und eine Haut wie warme Seide. Vor dem Aufstieg auf den Berg hatte er eine Nacht mit ihr verbracht, eine Nacht, die ihn in der Einsamkeit tröstete, aber auch quälte. Manchmal zählte er die Tage bis zu ihrem Wiedersehen, anstatt zu beten, und jedes Mal betete er danach um Vergebung.
Der Große Ritus und anschließend die ewige Liebe Gottes, ausgedrückt durch Lara. Kaum jemand konnte sich vorstellen, was es bedeutete, geliebt und angenommen zu werden, nachdem einem sein Leben lang eingetrichtert worden war, dass man zu nichts taugte. Ein Leben lang war er vom Vater übergangen worden, weil sein Bruder viel klüger, viel besser im Baseball und Football und überall sonst war. Die Mutter hatte ihn verachtet, weil er keine Karriere gemacht hatte, wie sie es sich erträumt hatte. Weil er beim Ladendiebstahl in einem Drugstore erwischt worden war, weil man ihm sechs Monate auf Bewährung wegen Marihuanahandels aufgebrummt hatte.
Die Klassenkameraden hatten ihn gemobbt, weil sie ihn für blöd hielten, weil er zu klein und zu schwach war und nie etwas Geistreiches zu sagen hatte. Die Lehrer hatten ihn abgehakt, ihm nichts zugetraut und ihn wie einen stotternden Idioten behandelt, wenn er einmal beweisen wollte, dass er nicht so dumm war, wie sie glaubten.
Doch jetzt war alles anders. Die Apostel liebten ihn. Jesus liebte ihn. Lara liebte ihn.
Er musste nur die vierzig Traktate auswendig lernen, vom Berg hinabsteigen und den Großen Übergangsritus absolvieren – einen Mord im Namen des Herrn an einer Satansbrut. Man würde ihm einen Namen nennen, den eines einzelnen Kindes oder einer ganzen Familie. Oder sogar die Namen mehrerer Familien.
Damit hätte er etwas dazu beigetragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Gott würde ihm Lara als Belohnung geben, und sie würden für den Rest ihres Daseins in der Hand Gottes leben und danach auf ewig im Haus des Herrn weilen.
40
Naomis Tagebuch
John schwört, dass Phoebe aussieht wie er und Luke wie ich. Ich kann das nicht erkennen. Mit ihren fünf Wochen sehe ich nur ein rundes und ein schmales Gesicht. Brummbär und Ruhepol. Krachmacher und stille Maus.
Im Nachhinein fällt mir einiges ein, worum wir Leo Dettore hätten bitten sollen. Zum Beispiel eine genetische Veränderung, durch die ein Baby vierundzwanzig Stunden am Tag schläft, bis es erwachsen ist. Und eine, durch die es nie etwas zu essen braucht.
Ich bin erschöpft. Ich habe das Gefühl, jeden Tag einen Berg erklommen zu haben, seitdem ich vor vier Wochen mit Phoebe und Luke nach Hause gekommen bin. Ich habe nicht mal Zeit zum Baden! Im Ernst! Ich springe schnell unter die Dusche, wenn John zu Hause ist, und das ist alles! Ich bin ununterbrochen damit beschäftigt, Gesichter zu waschen, die Babys zu füttern und zu wickeln, zu waschen und zu bügeln. Zu allem Überfluss hat Luke nach unserer Heimkehr Koliken bekommen und eine Woche lang nonstop geschrien.
Bei unserer ersten Autofahrt vom Krankenhaus nach Hause habe ich vor Freude geweint. Dasselbe hatte ich empfunden, als mir die Hebamme zum ersten Mal Halley in den Arm legte und mir bewusst wurde, dass er unser Baby ist! Unser eigenes. Was für ein unbeschreibliches Gefühl.
Mum hat uns die ersten zwei Wochen unterstützt, so gut sie konnte, und dann kam Harriet für ein paar Tage und hat uns tüchtig unter die Arme gegriffen. Ansonsten haben wir andauernd Besuch. Nett, sie alle zu sehen, aber dadurch habe ich noch mehr Arbeit. Es scheint, als fände jeder Zwillinge faszinierend, als seien sie eine regelrechte Attraktion.
Nächste Woche kommt Johns Mutter aus Schweden, um ihre Enkelkinder zu sehen. Sie ist eine nette Frau, aber durch ihr schwindendes Augenlicht eher eine Bürde als eine Hilfe für mich. Man kann sie in einem fremden Haus nicht eine Minute allein lassen. Aber sie freut sich auf ihre Enkelkinder, die Gute!
Unsere ohnehin schon prekäre finanzielle Lage wird durch die Zwillinge noch mehr strapaziert. Man braucht alles doppelt. Ich wünschte, ich könnte etwas dazuverdienen, aber an Arbeit ist gar nicht zu denken. Ich hangele mich von Stillzeit zu Stillzeit, und die Kleinen wachsen unglaublich schnell. Der Kinderarzt wundert sich, behauptet aber, das sei ein gutes Zeichen.
Allmählich bedaure ich unsere Entscheidung, in einer solchen Einöde zu leben. Würde gern mal
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