Nur dein Leben
etwas anderes sehen als Schafe und Vögel und windgepeitschte Bäume. Nachdem Gäste hier waren, genieße ich die Ruhe und den Frieden, doch kurz darauf sehne ich mich danach, dass John nach Hause kommt.
Für ihn läuft alles gut, er verbringt den ganzen Tag außer Haus, redet mit Kollegen, isst mit ihnen zu Mittag und fährt wieder nach Hause zu seinen Spielzeugen, seinen kleinen Babys und seinem kleinen Frauchen.
Einer der beiden weint jetzt, was bedeutet, dass auch der andere gleich schreien wird. Stillen und Wickeln. Stillen und Wickeln. Meine Brustwarzen schmerzen höllisch. Ich bin eine Art Milchkuh. Ihre Sklavin. Ich kann mich nicht erinnern, dass Halley je so anspruchsvoll war.
Ich klinge frustriert. Und das bin ich auch! Zwillinge zu haben, ist nicht doppelt, sondern zehnmal so anstrengend wie nur ein Kind.
41
IHRE STIMME ERSCHRECKTE IHN. Schrill durchbrach sie die New-Age-Klänge einer Harfe, begleitet von Meeresrauschen.
»Was starrst du sie so an, John? Wonach suchst du?«
Er drückte den Auslöser der Kamera und drehte sich dann zu Naomi um. »Phoebe sieht inzwischen wirklich aus wie eine Miniausgabe von dir!«
»Das beantwortet nicht meine Frage«, erwiderte sie spitz.
Betreten wandte er den Blick ab und sah sich im Zimmer um. Es war hübsch und fröhlich und wirkte durch die hohe Balkendecke und das westwärts gewandte Fenster hell und luftig, selbst an einem bedeckten Morgen wie diesem. Sie hatten buntgestreifte Gardinen aufgehängt und die Tapete rundum mit einer breiten Borte mit Dschungelmotiven verziert.
Es war Samstagvormittag. John hatte sein regelmäßiges Tennisspiel mit Carson Dicks abgesagt, weil er gesehen hatte, wie erschöpft Naomi war und er sie an diesem Wochenende so gut er konnte unterstützen wollte. Naomis Mutter kam am Sonntag für eine Woche, doch im Gegensatz zu Naomi war sie keine gute Hausfrau. Kochen konnte sie kaum, und die meisten Haushaltsgeräte waren und blieben ihr ein Rätsel.
Sie lebte bis heute wie eine vornehme Frau und arbeitete zum Zeitvertreib in einer Kunstgalerie in Bath, die sich auf lokale, aber unbekannte Aquarellmaler spezialisiert hatte.
Zeitweise konnte Anne Walters unglaublich zielstrebig und konzentriert sein, doch genauso oft schien sie in ihrer eigenen Welt zu leben.
John senkte seine Kamera, legte den Arm um Naomi und drückte sie. Durch die weiche Wolle ihres Pullovers fühlte er ihre Rippen. Sie hatte in den letzten Monaten stark abgenommen.
Draußen wurden Bäume und Büsche vom starken Märzwind gebeugt und Regentropfen prasselten auf das Dach. Heizungsluft stieg flirrend vor dem Fenster auf. John nahm seine Frau noch fester in den Arm, als wolle er sie beschützen, und beobachtete dabei Luke und Phoebe, die nur wenige Schritte entfernt in weichen Nachtstramplern in ihren Bettchen schliefen. Mit müden Augen blickte er lächelnd auf ihre unschuldigen Gesichter und ihre unglaublich winzigen Hände. Luke stieß ein leises Gurren aus und wenige Augenblicke später erklang das Echo von Phoebe.
Im Zimmer lag ein süßlicher Milchgeruch, den er lieben gelernt hatte. Der Duft von Babypuder, frisch gewaschener Wäsche, Bettdecken, Windeln und etwas undefinierbar Wunderbarem, das alles andere durchdrang und von ihrer Haut auszugehen schien. Der Duft seiner Kinder.
Die Gesundheitsfürsorgerin war entzückt von ihrer Gewichtszunahme und ihrem allgemeinen Gesundheitszustand gewesen. Sie seien wahre Prachtexemplare, sagte sie zu John und Naomi, hübsch, gesund, niedlich.
Bis jetzt.
Bis jetzt.
Diese Angst schwebte über ihm wie eine Gewitterwolke, die sich bis an den Horizont seines Lebens erstreckte. Wie lange würde es dauern, bis sie sich sicher sein konnten, dass ihre Kinder wirklich normal und gesund waren? Bevor sich die unheilvolle Wirkung dessen, was immer Dettore mit ihnen getan oder unterlassen hatte, entfaltete? Welche Zeitbomben tickten in ihnen?
Er wusste, dass sich alle Eltern um ihre Kinder sorgten. Doch niemand hatte das getan, was er und Naomi getan hatten.
Über ihm hing ein Kirmeskarussell-Mobile an einem Balken. Jedes Tier wiegte sich leise in der Zugluft. Über die Kinderbettchen spannten sich weiche Stoffbänder mit Rassel- und Quietschtieren und in mehreren Büchern, die er gelesen hatte, hatte es geheißen, mit einem Monat müsste jedes Baby gelernt haben, wie man ihnen Geräusche entlockt. Doch bisher hatte keiner der Zwillinge auch nur das geringste Interesse gezeigt. Das musste nichts zu bedeuten haben, das war
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