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Nur dein Leben

Nur dein Leben

Titel: Nur dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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wir uns sonst noch gefasst machen müssen, was dieser Verrückte ihnen noch alles angetan hat.«
    John ließ den Motor an und rangierte den Saab aus der Parklücke. Leise sagte er: »Dr. Otterman hat gesagt, es würde ihr gar nichts ausmachen, und sie würde ein normales Leben führen können.«
    »John, für die meisten Frauen bedeutet ein normales Leben, dass sie Kinder haben. Hast du eine Vorstellung davon, wie sie sich fühlen wird, wenn sie ein Teenager ist und ihre Freundinnen ihre Tage bekommen? Wenn sie ihren ersten Freund hat? Wenn sie sich verliebt? Wie soll sie in zwanzig Jahren ihrem Partner erklären:
Übrigens, ich hatte meine erste Periode mit knapp zwei Jahren und bin mit vierzehn in die Menopause gekommen?
«
    »Das hat er doch gar nicht gesagt, Schatz. Er hat gesagt, die Störung würde nicht den Zeitpunkt der Menopause beeinflussen, und sie würde nicht frühzeitig in die Wechseljahre kommen.«
    »Er ist sich nicht sicher, John! Er hat gesagt, nach dem Scan wüsste er mehr, und die Krankheit verliefe bei jedem anders.« Sie wühlte in ihrer Handtasche, zog eine Packung Taschentücher heraus und putzte sich die Nase. »Kleinwüchsig. Super. Wir haben Dr. Dettore um einen hochgewachsenen Sohn gebeten und bekommen eine kleinwüchsige Tochter.«
    »Momentan sieht es doch gar nicht danach aus! Sie ist groß für ihr Alter, sie wird nicht kleinwüchsig.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »In den nächsten zwanzig Jahren wird die Medizin gewaltige Fortschritte machen. Sollten wir feststellen, dass …«
    »Klar doch«, unterbrach sie ihn. »Phoebe ist ein Opfer der Medizin. Nett, zu erfahren, dass unsere Tochter ein Versuchskaninchen ist – und ein Freak.«
    »
Freak
ist doch nun wirklich übertrieben! Sie ist kein Freak!«
    »So, und was dann? Welcher Euphemismus wäre dir denn lieber?
Entwicklungsbeschleunigt? Frühreif?
Schau den Tatsachen ins Auge, John! Schönen Gruß von Dr. Dettore! Wir haben all unsere Ersparnisse und die Darlehen meiner Verwandten dafür ausgegeben, ein Ungeheuer zu produzieren! Gesteh dir das doch endlich ein!«
    »Wäre es dir lieber, sie wären nie geboren worden?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bin so durcheinander, ich weiß nicht mehr, wie ich mich fühlen soll. Wir geht es dir damit? Aus dir werde ich nicht mehr schlau.«
    »Alles, was ich wollte, war …« Er brach mitten im Satz ab und schwieg.
    »Was, John? Was hast du gewollt? Sag’s mir, ich bin ganz Ohr. Und wenn du die Scheibenwischer einschalten würdest, würden wir auch sehen, wo wir hinfahren.«
    Er schaltete die Scheibenwischer ein und bog auf die Straße ab. Nach einer Weile sagte er: »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mehr, was ich wollte. Ich nehme an, das Beste für unsere Kinder, für dich und mich. Ich habe nur versucht, das Beste für uns zu tun.«
    »Das redest du dir wohl nur zu gerne ein, oder?«
    »Was soll das heißen?«
    »Wolltest du wirklich nur das Beste für uns? Oder hat dich dein Ehrgeiz als Wissenschaftler getrieben?«
    An der nächsten Kreuzung bremste er stärker als nötig. »Du misstraust mir, stimmt’s?«
    »Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glauben soll, John.«
    »Das ist sehr verletzend.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Naomi, ich habe dir immer die Wahrheit gesagt. Als ich von Dr. Dettore erfahren habe, habe ich dir alles erzählt, was ich wusste, und ich habe dich gewarnt, dass die Behandlung bei ihm mit Risiken verbunden sein wird. Trotzdem haben wir gemeinsam beschlossen, sie einzugehen.«
    »Vielleicht hast du es mir einfach nicht deutlich genug erklärt«, erwiderte sie verbittert.
    »Vielleicht hast du einfach nicht genau genug zugehört«, entgegnete er leise.
    Sie drehte sich zu ihm um und starrte ihn an. Starrte den Mann an, den sie einst wahnsinnig, über die Maßen geliebt hatte. Den Mann, mit dem sie so viel durchgemacht hatte. Den Mann, der ihr geholfen hatte, den Verlust ihres Sohnes zu verkraften und den Willen aufzubringen, weiterzuleben.
    Sie starrte ihn so hasserfüllt an, dass sie froh war, kein Messer in der Hand zu haben, weil sie sonst vermutlich auf ihn eingestochen hätte.

62
    IM KLOSTER PERIVOLI TIS PANAGIAS begann der Tag wie an jedem Morgen in den vergangenen elf Jahrhunderten. Um halb drei, als der Himmel noch wie ein Sternenmeer funkelte, ertönte ein Klopfen. Der Ruf zur Matutin.
    Im Marmorlicht des Mondes steigerte sich das laute Trommeln zu einem frenetischen Crescendo – eher ein Schamanenrhythmus als ein Gong. Das Trommeln

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