Nur dein Leben
schallte durch die Schatten auf dem Hof und hallte von den ausgetretenen Steinfliesen und den rissigen, bröckligen Schutzmauern wider, die die größtenteils verfallenen Gebäude umgaben.
In seiner Zelle erhob sich der Abt von seinem schmalen Bett, zündete die Öllampe auf seinem Nachttischchen an, bekreuzigte sich vor dem Bild der heiligen Maria und zog sich rasch seine schwarze Kutte über.
Als Yanni Anoupolis vor vierundsechzig Jahren als Novize ins Kloster eingetreten war, war es seine Aufgabe gewesen, sich als Erster zu erheben und die Brüder zum Gebet zu rufen, indem er mit dem Holzhammer auf die uralte Teakplatte schlug, die an rostigen Ketten im umfriedeten Klosterhof hing. Damals war er ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren gewesen, der sich mit vor Sehnsucht wehem Herzen danach sehnte, Gott zu dienen.
Heute schmerzte ihn nicht nur das Herz, sondern auch Hüfte, Knie und manches andere. Der Körper, den er bewohnte, verfiel genau wie die Gebäude, die die wenigen verbliebenen Mönche beherbergten. Seine Augen ließen ihn immer mehr im Stich, von Monat zu Monat, und gleichermaßen verließ ihn die Energie. Er wusste nicht, wie viel Zeit Gott ihm noch gewährte, doch ihm blieb der Trost, dass nach Jahren der Ungewissheit die Zukunft des Klosters hoch oben auf der Felseninsel in der Ägäis, zwanzig Kilometer südlich des griechischen Festlands, gesichert war.
Pater Yanni zog seine Kapuze über den Kopf und ging auf seinen Stock gestützt die Treppe hinunter auf den Hof. Das Kirchenportal mit den stechend riechenden Öllampen bot geringen, aber willkommenen Schutz gegen den schneidenden, feuchten Wind vom Meer her. Hinter sich hörte er die Schritte von dreien der vier anderen Mönche, die von den ursprünglichen hundertneunzig ihrer Gemeinschaft damals bei seiner Ankunft übrig geblieben waren.
Als er den hinteren Teil der Kirche betrat, bekreuzigte er sich erneut und blieb einige Augenblicke lang in demütigem Schweigen vor der wunderschönen Ikone der Madonna mit Kind stehen. Die gesegnete Jungfrau Maria! Sie beschützte sie alle auf dieser Insel. Und sie hatte ihn für seine lebenslange Hingabe mit der Ankunft des Amerikaners belohnt, der sie alle retten würde.
Er fragte sich, ob sich der Amerikaner zur Matutin zu ihnen gesellen würde. Manchmal saß er morgens neben ihm, üblicherweise begleitet von jungen Novizen. An anderen Tagen zog er es vor, so hatte er dem Abt erklärt, in der Abgeschiedenheit seiner Zelle zu wachen und zu beten.
Pater Yanni erfreute sich an dem Anblick der Novizen, dieser sanften, höflichen jungen Männer. So aufrichtig, so devot, so hingebungsvoll, ihre Gebete voller Vitalität und Leidenschaft. Ach, die Energie der Jugend!
Der Name des Amerikaners war Harald Gatward. Er war ein guter Mann, das wusste der Abt, aber nicht viel mehr. Nur, dass die Jungfrau Maria ihn hierher geführt hatte – mehr brauchte er auch gar nicht zu wissen.
Das Kloster Perivoli Tis Panagias war im neunten Jahrhundert als ferne Dependance des Heiligen Berges Athos erbaut worden und bot griechisch-orthodoxen Mönchen eine Herberge. Sie lebten in Askese; weltliche Freuden waren strengstens verboten – alles nur Versuchungen Satans, um sie abzulenken und zu korrumpieren. Dazu gehörte auch Geschwätz. Geredet wurde nur, um sich über das Nötigste zu verständigen. Müßiges Geplauder führte bloß zu Unzufriedenheit und Sünde.
Der Abt sprach als einziger Mönch auf der Insel ein wenig Englisch, doch sein Wortschatz war lückenhaft und größtenteils archaisch. Er nahm an, dass der Amerikaner ein sehr reicher Mann war. Auf dem Konzil der Griechisch-Orthodoxen Kirche war beschlossen worden, dass man für nur fünf Mönche nicht länger die Kosten für den Unterhalt von Perivoli Tis Panagias tragen könne. Als die winzige Insel zum Verkauf angeboten wurde, in der Hoffnung, einen Bauunternehmer anzulocken, der sie in ein Ferienresort verwandelte, hatte der Amerikaner alle Konkurrenten überboten. Und dieser wunderbare Mann hatte dem Abt versichert, es sei Gottes Wille, dass er und seine vier Brüder ihr Leben hier in Frieden beschließen sollten.
Natürlich hatte es einige Veränderungen gegeben. Die einschneidendsten waren die neuen Gebäude und die Ankunft von Frauen auf der Insel gewesen. Doch sie waren jenseits der Klostermauern untergebracht, und keine von ihnen hatte es je gewagt, die Kirche oder das Refektorium zu betreten.
In seiner winzigen Zelle, die noch bescheidener war
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