Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
ihr ein, dass sie die anderen mit dem Lärm wecken könnte. Sofort schaltete sie ihn aus und lauschte aufmerksam an der Tür. Aber in der Wohnung war es immer noch genauso still wie vorher.
Die Windel war schwer nach der langen Nacht und hing unbequem unter ihrem rot-weiß gestreiften Nachthemd. In ihrem Bauch begann es zu knurren, obwohl sie das Frühstück eigentlich gar nicht so sehr mochte. Wie konnte sie Mama wecken, ohne dafür ausgeschimpft zu werden? Sie könnte vielleicht schreien, als ob sie einen schrecklichen Alptraum gehabt hätte …
»Mama! Mama!«, rief sie. »Mama, komm! Hilfe!«
Nichts geschah. Hanna öffnete die Tür ein klein wenig und rief noch einmal, aber es war immer noch ganz still. Plötzlich fiel ihr auf, dass nicht einmal ihr kleiner Bruder zu hören war, der schon seit vielen Tagen die ganze Zeit nur geschrien hatte. Lukas hatte Halsschmerzen und Fieber und musste Medizin nehmen, aber gesund wurde er trotzdem nicht, sagte Mama. Vielleicht war die Krankheit vorbei und deshalb schrie er nicht mehr? Dann hätte Mama endlich wieder mehr Zeit, um mit ihr zu spielen, und müsste sich nicht immer nur um Lukas kümmern.
Hanna steckte den Kopf zur Tür hinaus und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hatte langes Haar, das Mama morgens zu einem Pferdeschwanz oder kleinen Rattenschwänzchen zusammenband, damit es ihr beim Spielen nicht in die Augen fiel. Sie war drei Jahre alt und ging einige Tage in der Woche in den Kindergarten, aber nicht heute, denn heute war Samstag. Das wusste Hanna, denn so etwas merkt man sich, wenn man so groß ist wie sie; besonders die Samstage konnte man sich leicht merken, denn dann durfte man sich Süßigkeiten kaufen und Brause trinken.
Soll Mama ruhig böse werden. Jetzt konnte Hanna nicht länger warten, sie tapste ins Wohnzimmer hinaus. Die Tür zum Schlafzimmer stand weit offen, und drinnen war es taghell. Das war seltsam. Hatten ihre Eltern das Rollo nicht heruntergezogen? Sie schlich sich zur Türöffnung und schaute vorsichtig in das Zimmer hinein. Das große Doppelbett stand dort, wo es immer stand, aber es war leer. Es gab keine Decken und keine Kissen. Dort lagen weder ihre Mama noch ihr kleiner Bruder.
Hanna stand eine Weile still in der Tür, ohne so recht zu verstehen, was sie dort sah, doch dann kroch sie in das leere Bett und begann zu weinen.
*
Mit einem Ruck richtete er sich auf und begann zu schreien. Dieses Mal schrie er. Das hatte er früher nicht getan. Åsa, die als abgehärtete Mutter direkt aus dem tiefsten Schlaf hellwach werden konnte, setzte sich ebenso hastig auf und betrachtete erschrocken ihren Mann. Dann streichelte sie ihn mit weiten, weichen Bewegungen über den Rücken, und er schlug die Hände vors Gesicht und schaukelte langsam vor und zurück.
»Was träumst du denn nur?«, fragte Åsa vorsichtig. »Das habe ich ja noch nie erlebt.«
Sjöberg antwortete nicht, sondern schüttelte nur betrübt den Kopf und seufzte. Nachdem sie eine Weile so gesessen hatten, flüsterte er:
»Da ist eine Frau im Fenster.«
Er hoffte, dass sie ihn nicht gehört hatte.
»Sie schaut auf mich herab, und ich stehe barfuß im Gras.«
Er verstummte.
»Sonst nichts?«
»Sonst nichts.«
»Wer ist sie?«, fragte Åsa.
»Ich weiß nicht«, log Sjöberg leise.
»Du hast nur ein paar Stunden geschlafen«, sagte Åsa. »Du musst noch nicht aufstehen. Leg dich wieder hin, und ich streichele dir den Rücken.«
Er legte sich gehorsam mit dem Rücken zu ihr wieder auf die Seite. Sie ließ ihre Hand ein paarmal durch sein blondes Haar gleiten, bevor sie sie sanft über die Schultern, die Arme und den Rücken bis ins Kreuz hinunterwandern ließ. Er war durchgeschwitzt und trotz Åsas Streicheleinheiten immer noch total verspannt.
Der Traum war derselbe wie schon so viele Male vorher. Er stand barfuß auf einer taunassen Grasfläche und schaute auf seine Füße hinunter. Er wollte eigentlich aufschauen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Sein Kopf fühlte sich schrecklich schwer an, sodass er ihn kaum anzuheben vermochte. Er nahm all seine Kräfte zusammen, und schließlich gelang es ihm, sein Gesicht nach oben zu wenden, doch seine Augen wagte er immer noch nicht zu öffnen. Der Hinterkopf sank auf die Schultern, und er konnte sich nicht bewegen.
Schließlich schlug er doch die Augen auf. Und dort stand sie wieder im Fenster, die Frau mit den leuchtenden, dunkelroten Haaren, die sich wie eine Sonne um ihren Kopf legten. Sie
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