Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
bleibt auch kein leerer Fleck zurück, wenn man starb. Aber Jennifer hatte eine große Leere hinterlassen.
Dann musste sie an Jocke denken. Mit dem Bart und den freundlichen Augen. Vielleicht vermisste er Jennifer. Ja, das tat er ganz bestimmt. Falls sie überhaupt noch zusammen gewesen waren, so ganz klar war das ja nicht. Vielleicht hatte er sie auch umgebracht. So war es ja meistens. Eifersüchtige Freunde oder Ehemänner oder Exmänner – das waren die Leute, die Frauen umbrachten. Sie schauderte, als sie sich Jocke und Jennifer vorstellte. Er einen Kopf größer, die starken Hände um Jennifers Hals gelegt. Jennifer in Panik, zappelnd, um Atem ringend. Lange, lange, bis sie schließlich aufgibt. Dann lässt er sie los, und sie bricht zusammen.
Und dann wieder diese Brieftasche. Sie versuchte logisch zu denken. Ständig wurden Brieftaschen geklaut. Sie war nicht die erste Diebin der Weltgeschichte. Was wurde mit Dieben gemacht? Meistens wurden sie nicht geschnappt. Ansonsten – ja, was? Die Polizei verhaftete sie, und sie saßen ihre Strafe ab. Was würde in ihrem Fall dabei herauskommen? Gefängnis? Beim ersten Mal wohl kaum. Geldbußen, Besserungsanstalt? Sie würde in der Verbrecherkartei landen. So what? Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Und trotzdem dieser Zustand lähmenden Schreckens. Es war dieser Blick. Die Augen, die sahen, aber trotzdem nicht sahen. Für diesen fiesen Typen war sie nicht mehr wert als eine Zigarettenkippe unter seiner Sohle. Und trotzdem – er würde sie ja nicht gleich umbringen, nur weil sie seine Brieftasche gestohlen hatte. So kranke Menschen gab es nicht. Wenn nicht, dachte sie plötzlich, wenn nicht eine riesige Menge Geld in dieser Brieftasche steckte.
Sie lag auf dem Rücken in ihrem Bett, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte auf die Unterseite von Jennifers Bett. Dort hatte sie vor vielen Jahren ein Robbie-Williams-Poster hingeklebt. Das Klebeband war vergilbt, und eine Ecke hatte sich bereits gelöst. Das Zimmer duftete immer noch schwach nach Jennifers Parfum. Es war stiller als sonst. Aus der Küche waren ein paar Stimmen zu hören, aber die meisten Freunde ihrer Mutter waren heute nicht aufgetaucht. Vielleicht hatten sie einen anderen Ort gefunden, an dem sie heute Abend abhängen konnten.
Ansonsten machte ihre Mutter weiter, als wäre nichts geschehen. Schon möglich, dass sie irgendwo in ihrem Nebel um Jennifer trauerte, dass sie Gefühle für ihre Töchter hatte, aber davon war nichts zu spüren. Wenn sie sich manchmal mit nüchternen Menschen unterhielt, wie den beiden Polizisten, die sie heute Nachmittag besucht hatten, machte es ihr dermaßen große Schwierigkeiten, die Nüchterne zu spielen, dass man hinter dieser Maske kaum erkennen konnte, wer sie wirklich war. Elise hatte bemerkt, wie idiotisch und gekünstelt sich ihre Mutter aufgeführt hatte. Ihr Bemühen, alle Konsonanten sorgfältig auszusprechen, was zur Folge hatte, dass die Wörter übertrieben lang gerieten und das R ganz lächerlich hervortrat. Bei solchen Anlässen schämte sich Elise für ihre Mutter. Es war ihr lieber, wenn sie ordentlich besoffen war, wie meistens. Dann war sie immerhin sie selbst.
Elise setzte sich auf die Bettkante. Mit einem tiefen Seufzen hockte sie sich schließlich hin und zog die Schublade unter dem Bett hervor. Sie nahm ein paar Stapel Kleider heraus, und da war sie auch schon. Eine kleine, dünne Brieftasche aus schwarzem Leder. Sie wog sie in einer Hand, als wollte sie eine Vorahnung davon bekommen, was sich darin befand. Dann öffnete sie sie ganz vorsichtig, als hätte sie Angst davor, dass sie ihr in den Händen zerfallen oder explodieren könnte. Sie enthielt keine Kreditkarten, aber eine Krankenversicherungskarte, eine ICA -Kundenkarte, eine Coop-Kundenkarte und einen Mitgliedsausweis der Videothekenkette Buylando . Im Geldfach fand sie sechs Fünfhunderter: dreitausend Kronen. Das war sehr viel Geld für sie, aber war es das auch für ihn? War es genug, um dafür das Gesetz in eigene Hände zu nehmen, sie aufzuspüren und ihr etwas anzutun? Sie wusste es nicht. Aber sie wusste jetzt, wer er war. Mit ernster Miene betrachtete er sie aus seinem Führerschein. Sie kannte seinen Namen, seine Sozialversicherungsnummer und seine Adresse. Aber was sollte sie mit diesen Informationen anfangen?
*
Conny Sjöberg saß zusammen mit Hamad in Erikssons Büro und ging die Listen mit den Namen von Personal und Passagieren der großen
Weitere Kostenlose Bücher