Nur Der Tod Bringt Vergebung
sein.
Schwester Fidelma unterbrach Tarans unermüdlichen Redefluß.
«Sehr viel mehr werde ich mir wohl auf einmal nicht merken können. Während der Debatte werde ich bestimmt noch mehr über die Anwesenden erfahren. Ich bin nur erstaunt, wie viele Menschen hier sind.»
Bruder Taran nickte selbstgefällig.
«Es ist eine wichtige Versammlung, Schwester. Nicht nur das Königshaus von Northumbrien ist anwesend. Domangart von Dál Riada und Drust, der König der Pikten, sind ebenfalls gekommen. Zahlreiche andere Könige haben Prinzen und Abgesandte geschickt: Cenwealh von Wessex, Eorcenbreht von Kent, Wolfhere von Mercia und …»
«Genug!» wehrte Fidelma ab. «All diese fremden sächsischen Namen werde ich sowieso nie behalten. Ich werde Euch fragen, wenn ich noch etwas wissen will.»
Einen Augenblick saß Fidelma schweigend da und ließ ihre Blicke über das Meer von Gesichtern schweifen. Dann öffnete sich die große Tür, und ein Mann mit einer großen Fahne trat herein. Wie Taran ihr sogleich zuflüsterte, war dies thuff, die Standarte des Königs, die ihm stets vorausgetragen wurde. Und dann kam auch schon ein hochgewachsener und muskulöser, gutaussehender Mann mit flachsblondem Haar und langem Schnurrbart herein. Er trug prächtig geschmückte Kleider und einen goldenen Reif auf dem Kopf.
Und so erblickte Fidelma zum ersten Mal Oswiu, den König von Northumbrien. Oswiu hatte den Thron bestiegen, nachdem sein Bruder Oswald von Penda mit seinen Verbündeten in Maserfeld erschlagen worden war. Innerhalb weniger Jahre hatte Oswiu seinen Bruder gerächt und Penda und seine Gefolgsleute getötet. Inzwischen wurde er als Bretwalda gefeiert, ein Titel, der ihn, wie Taran ihr erklärte, zum Führer aller Königreiche der Angeln und Sachsen erhob.
Neugierig betrachtete Fidelma den hochgewachsenen Mann, dessen Vorgeschichte sie aus Erzählungen kannte. Als Kinder waren er und seine Geschwister aus Northumbrien vertrieben worden, nachdem Edwin ihren Vater ermordet und den Thron an sich gerissen hatte.
Die verbannten Königskinder waren im Königreich Dal Riada aufgewachsen und auf der heiligen Insel Iona zum Christentum bekehrt worden. Als Oswald, Oswius älterer Bruder, den Thron zurückeroberte und seine Geschwister aus dem Exil holte, sandte er auch nach Iona und bat darum, Missionare nach Northumbrien zu schicken, die sein Volk vom Heidentum abbringen und im Lesen und Schreiben unterrichten könnten. Fidelma war daher immer ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß König Oswiu für Iona Partei ergriff.
Aber sie wußte auch, daß Oswiu in dieser Debatte zwar das letzte Wort hatte, dabei aber unter dem Druck seiner Erben und der zahlreichen Abgesandten anderer Könige stand, die auf sein Urteil Einfluß nahmen.
In der kleinen Prozession, die Oswiu auf dem Weg zu seinem Thron an der Stirnseite des sacrarium begleitete, folgte als erster Colmán als Oswius Bischof und wichtigster Abt seines Königreichs. Dann kamen Hilda und eine andere Frau, deren Gesichtszüge stark an Oswiu erinnerten.
«Das ist Abbe, Oswius älteste Schwester», flüsterte Taran. «Sie war in Iona im Exil und ist eine überzeugte Verfechterin von Columcilles Liturgie. Abbe ist Äbtissin des nördlich von hier gelegenen Klosters Coldingham, eines Doppelhauses, in dem Männer und Frauen gemeinsam ihr Leben Christus weihen können.»
«Nach allem, was ich gehört habe, hat es einen ziemlich zweifelhaften Ruf», raunte Gwid ihr von der anderen Seite zu. «Es heißt, die Nonnen und Mönche in der Abtei seien allzusehr dem Feiern, Trinken und anderen weltlichen Genüssen zugetan.»
Schwester Fidelma antwortete nicht. Es gab viele conhospitae oder Doppelhäuser, und daran war nichts auszusetzen. Ihr mißfiel die Art, in der Schwester Gwid anzudeuten schien, daß diese Lebensform etwas Verwerfliches an sich hätte. Sie wußte, daß einige Asketen die Doppelhäuser verdammten und die Ansicht vertraten, jeder, der sein Leben in den Dienst Gottes stelle, müsse auch enthaltsam leben. Ja, man hatte ihr erzählt, einige dieser Asketen würden sogar wie Bruder und Schwester zusammenleben, um dadurch die Stärke ihres Glaubens und die übernatürliche Kraft der Keuschheit unter Beweis zu stellen – ein Gebaren, gegen das Johannes Chrysostom von Antioch mit aller Macht zu Felde gezogen war.
Fidelma hatte nichts gegen religiöse Gemeinschaften von Männern und Frauen einzuwenden. Sie teilte die Auffassung, daß Geistliche heiraten und Kinder
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