Nur Der Tod Bringt Vergebung
in Étains Zelle ging, muß Agatho nach Abbe bei ihr gewesen sein.»
In dem Augenblick läutete die Glocke zur cena, der Hauptmahlzeit des Tages.
Die Begeisterung war aus Eadulfs Gesicht verschwunden.
«Agatho hatte ich völlig vergessen», murmelte er zerknirscht.
«Ich nicht», erwiderte Fidelma bestimmt. «Aber wir werden trotzdem nach dem Abendessen mit Äbtissin Abbe sprechen.»
Fidelma hatte keinen großen Hunger. Ihr gingen zu viele Gedanken im Kopf herum. Daher aß sie nur etwas Obst und ein Stück von dem schweren Brot, das man im Kloster paximatium nannte, und ging dann in ihr cubiculum, um sich auszuruhen. Da die meisten Glaubensbrüder und -schwestern noch im Refektorium weilten, herrschte im domus hospitale wohltuende Ruhe. Fidelma wollte allein sein, noch einmal alles durchdenken, was Bruder Eadulf und sie bisher in Erfahrung gebracht hatten, und etwas Sinn und Ordnung in das Ganze bringen. Aber es gelang ihr nicht. Ihr Lehrer, der Brehon Morann von Tara, hatte ihr wie allen seinen Schülerinnen und Schülern eingeprägt, mit ihrem Urteil stets zu warten, bis wirklich alle Tatsachen ermittelt waren. Und doch verspürte Fidelma eine Ungeduld, die sich nur schwer bezwingen ließ.
Seufzend erhob sie sich von ihrem Bett und beschloß, einen Spaziergang über die Klippen zu machen. Vielleicht würde die frische Abendluft ihr etwas Klarheit verschaffen.
Sie verließ das domus hospitale und überquerte einen viereckigen Innenhof in Richtung monasteriolum, wo die älteren Nonnen und Mönche sich ihren Studien widmeten und die jüngeren ihren Unterricht bekamen. Jemand hatte etwas an die Wand geschrieben: docendo discimus. Fidelma lächelte. Die Worte waren treffend. Tatsächlich lernte man beim Lehren.
Dem monasteriolum hatte Fidelma bereits einen Besuch abgestattet, als sie das Buch, das Abt Cumméne von Iona ihr als Geschenk mitgegeben hatte, beim librarius abgegeben hatte. Streoneshalhs Büchersammlung war beeindruckend. Hilda hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Bibliothek ständig zu vergrößern und so viele Bücher wie möglich zu sammeln, da sie entschlossen war, ihr ganzes Volk das Lesen und Schreiben zu lehren.
Die Sonne stand schon tief hinter den Bergen, und die Klostergebäude warfen lange Schatten. Bald würden sie ganz von der Dämmerung eingehüllt sein. Fidelma blieb gerade noch genug Zeit für einen kurzen Spaziergang, ehe sie zum Gespräch mit Äbtissin Abbe in Schwester Athelswiths officium zurückerwartet wurde.
Sie ging den äußeren Kreuzgang entlang, von dem aus man durch ein Seitentor auf einen Pfad zu den Klippen gelangen konnte, als sie vor sich plötzlich die Gestalt eines Mönches bemerkte. Er hatte den Kopf mit einer Kapuze verhüllt.
Einer inneren Eingebung folgend, blieb Fidelma stehen. Es kam ihr seltsam vor, daß ein Bruder innerhalb der Klostermauern seine Kapuze trug. Doch in diesem Augenblick erschien auch schon eine zweite Gestalt in der Nähe des Seitentors. Fidelma zog sich in die Schatten des Gewölbes zurück. Ihr Herz schlug schneller, auch wenn es dafür keinen sachlichen Grund zu geben schien – außer daß sie in der zweiten Gestalt Wulfric von Frihop erkannte.
Die beiden Männer begrüßten sich auf sächsisch.
Vorsichtig tastete sich Fidelma näher an die beiden heran und wünschte inständig, sie würde mehr von dieser Sprache verstehen.
Die beiden Männer lachten. Warum auch nicht? Was war so außergewöhnlich daran, daß ein sächsischer Than und ein sächsischer Mönch miteinander scherzten? Es war einzig und allein eine Art sechster Sinn, der Fidelma wachsam sein ließ. Die beiden Männer schauten sich während ihres Gespräches immer wieder vorsichtig um, als fürchteten sie sich vor Zeugen. Ihre Stimmen klangen verschwörerisch und leise. Dann gaben sie sich die Hand, und Wulfric ging zum Tor hinaus, während der mit seiner Kapuze verhüllte Bruder zurück in Fidelmas Richtung schritt.
So gut sie konnte, preßte sich Fidelma in den Schatten eines Säulenbogens.
Der Bruder ging an Fidelma vorbei und überquerte den viereckigen Innenhof in Richtung monasteriolum. Auf halbem Weg warf er die Kapuze zurück. Sie hatte ihren Zweck erfüllt, und innerhalb der Klostermauern eine Kapuze zu tragen, hätte bloß verdächtig gewirkt. Fidelma konnte einen kurzen Aufschrei des Erstaunens nicht unterdrücken, als sie den Mann mit der Tonsur Columbans erkannte.
Es war Bruder Taran.
Abbe war eine stämmige Frau, die ihrem Bruder Oswiu auffallend
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