Nur der Tod sühnt deine Schuld
unterhielt.
Das Letzte, was Haley wollte, war, dass irgendein Fremder in ihren Kopf schaute. Sie war wegen Molly hier, weil die Kleine offensichtlich mehr Hilfe brauchte, als Haley ihr geben konnte. Auf keinen Fall war sie jedoch bereit, sich selbst analysieren zu lassen.
»Dr.Tredwell ist jetzt frei«, sagte die Praxishelferin und öffnete die Tür zwischen dem Wartebereich und dem geheimnisvollen Teil der Praxis, wo der Therapeut seine Arbeit tat.
Die Frau führte sie durch einen langen Flur bis zu einem Raum mit einem Fenster zum Gang. In dem Zimmer waren ein Kindertisch und Kinderstühle und an den Wänden Regale mit Spielzeug zu sehen. »Molly, magst du ein paar Minuten hier spielen, während deine Tante mit dem Doktor spricht?«, fragte die Frau und öffnete die Tür zu dem Raum.
Molly nickte, ohne Haley oder die Praxishelferin anzusehen, ging direkt zu dem kleinen Tisch, setzte sich und zeigte keinerlei Interesse an dem Spielzeug und den Büchern in den Regalen.
»Keine Sorge, ich behalte sie im Auge«, sagte die Praxishelferin und zeigte auf eine zweite Tür im Flur. »Dr.Tredwell erwartet Sie.«
Haley nahm an, dass das Gespräch nicht lange dauern würde, was ihre Nervosität allerdings nicht minderte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er nichts weiter zu tun brauchen, als Molly zum Reden zu bringen, damit die Polizei Monicas Mörder schnappen konnte.
Die Tür war geschlossen, und als Haley klopfte, bat eine tiefe Stimme sie, einzutreten. Zu Haleys Überraschung sah das Sprechzimmer aus wie ein ganz normales Büro. Keine Analytikercouch, keine Hypnose-Instrumente, keine New-Age-Kristalle, nur ein Zimmer, das genauso gut das Büro eines Buchhalters oder Börsenmaklers hätte sein können.
Dr.Jerry Tredwell erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam Haley mit ausgestreckter Hand entgegen. Er war ein großer, schlaksiger älterer Herr mit lockigem grauem Haar, das ihm beinahe bis auf die Schultern fiel, und großen braunen Augen, die zugleich warmherzig und neugierig wirkten. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Ms. Lambert«, sagte er.
»Ganz meinerseits.« Haley schüttelte ihm flüchtig die Hand.
»Bitte.« Er deutete auf einen Stuhl, wartete, bis sie sich gesetzt hatte und nahm dann wieder hinter dem Schreibtisch Platz. »Sie haben eine nahe Angehörige verloren?«
In den nächsten Minuten erzählte Haley ihm von Monicas gewaltsamem Tod, von Mollys Schweigen und dass jemand dem kleinen Mädchen helfen musste, seine Stimme wiederzufinden.
Er hörte zu, nickte, machte Notizen. Zwischendurch stellte er eine Frage, aber die meiste Zeit hörte er einfach zu, während sie berichtete, was sich in den vergangenen Tagen ereignet hatte.
»Am besten unterhalte ich mich jetzt mit Molly«, sagte Dr.Tredwell, als Haley fertig war.
»Na, dann viel Glück«, erwiderte sie trocken.
Er lächelte. »Eine Unterhaltung muss man nicht unbedingt mit Worten führen.« Dann erhob er sich und deutete auf die Tür.
Haley trat vor ihm in den Flur. »Sie können die Sitzung verfolgen. Der Therapieraum hat ein Fenster zum Flur mit Einwegscheibe, das heißt, Sie können hineinschauen. Molly kann Sie von ihrer Seite aus aber nicht sehen. Eltern oder andere Begleitpersonen dürfen bei den Sitzungen nicht dabei sein, ich ermuntere sie jedoch, von außen zuzusehen.«
Haley nickte. Wahrscheinlich diente diese Maßnahme nicht nur dem Wohl der kleinen Patienten, sondern auch der eigenen Sicherheit von Dr.Tredwell. In diesen prozesswütigen Zeiten musste ein Arzt oder Therapeut, der mit kleinen Mädchen oder Jungen allein war, mit allem rechnen.
Als sie sich dem Therapiezimmer näherten, sah Haley, dass jemand einen Stuhl vor die Scheibe gestellt hatte, so dass sie sich hinsetzen und bequem zuschauen konnte.
»Normalerweise dauert es ungefähr eine Stunde, aber bei kleineren Kindern sind die Sitzungen oft kürzer.« Dr.Tredwell deutete auf den Stuhl, dann ging er zu Molly hinein. Molly saß immer noch an dem kleinen Tisch und sah aus, als hätte sie die ganze Zeit keinen Muskel bewegt.
Haley setzte sich und beobachtete, wie der Psychologe das kleine Mädchen begrüßte. Haley hörte zwar nicht, was er sagte, ihr fiel aber auf, dass sein Gesicht eine Sanftheit ausstrahlte, die ihr vorher nicht an ihm aufgefallen war.
Molly schaute Dr.Tredwell an, während er mit ihr sprach. Sie nickte ein paarmal, dann stand sie auf, holte eine Packung Buntstifte und ein paar Blätter Papier aus einem Regal und kehrte zu ihrem Platz
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