Nur der Tod sühnt deine Schuld
lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand im Flur und atmete tief durch, um sich zu beruhigen, um die Wut unter Kontrolle zu bekommen, die sich so unerwartet entladen hatte. Dann lief sie ins Wohnzimmer.
Sie griff nach dem schnurlosen Telefon. »Hallo?«, sagte sie.
»Hure.« Die Stimme klang gedämpft, war kaum zu verstehen.
»Bitte?« Sie musste sich verhört haben. Es kam keine Antwort, nur ein Klicken, der Anrufer hatte aufgelegt.
Haley stellte das Telefon zurück und sank auf die Sofakante. Hatte wirklich gerade jemand Hure zu ihr gesagt, oder hatte sie sich verhört? Sie hätte noch nicht einmal sagen können, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war: Die Stimme war geschlechtslos, aber voller Hass. Haley schüttelte den Kopf. Noch keine Woche in der Stadt, und schon hielt jemand sie für eine Hure.
Bevor sie noch weiter über den Anruf nachdenken konnte, klopfte es an der Haustür. Das Klopfen verstummte, dann setzte es wieder ein, diesmal lauter. Haley hastete zur Tür, und als sie sie öffnete, stand Angela Marcelli vor ihr.
»Haley.« Angela bückte sich nach einer großen Auflaufform, die sie offenbar abgestellt hatte, um anklopfen zu können. »Lasagne«, erklärte sie und trat ein.
Sie steuerte direkt auf die Küche zu. Während Haley ihr folgte, wünschte sie insgeheim, dass dieser Tag bald zu Ende war. Angela blieb in der Tür stehen und warf einen Blick in die aufgeräumte Küche. »Es kommen sicher viele Leute, und die bringen Unmengen zu essen mit, meine Liebe. Haben Sie Pappteller und Servietten?«
Haley starrte Angela an, und ihr Herz krampfte sich zusammen. An Teller und dergleichen hatte sie überhaupt nicht gedacht. Es ging schon los mit den Erwartungen und dem Versagen.
»Macht nichts.« In Angelas braunen Augen lag tiefes Mitgefühl. Sie lächelte. »Ich bin Gruppenführerin bei den Brownies, den Pfadfinderkids. Unter anderem. Ich habe tonnenweise Pappteller und so was zu Hause.« Sie stellte die Auflaufform auf den Tisch. »Bin gleich wieder da.«
Haley runzelte die Stirn und ließ den Blick durch die Küche schweifen. Irgendetwas musste doch sicher noch vorbereitet werden für den Ansturm der Trauergäste, der jeden Moment einsetzen konnte.
Kaffee. Sie könnte Kaffee machen. Sie stürzte sich auf diese Aufgabe, dankbar, etwas Nützliches tun zu können. Der Kaffee fing gerade an, in die Glaskanne zu laufen, als Angela mit einer großen Plastiktüte zurückkam.
»Setzen Sie sich und trinken Sie eine Tasse. Ich kümmere mich um alles«, sagte sie.
Haley gehorchte. Sie war erleichtert, jemand anderem die Verantwortung übertragen zu können, zumindest für eine Weile. Und Angela schien der Typ Frau zu sein, der gern Verantwortung übernahm.
»Ich hätte daran denken müssen«, sagte Haley, als Angela Teller, Tassen und Plastikbesteck aus der Tüte holte.
»Unsinn, Sie mussten sich um andere Dinge kümmern.« Angela stapelte die Utensilien am Rand der Arbeitsplatte.
»Monica hätte das alles rechtzeitig fertig gehabt.«
Angela schenkte Haley ein verständnisvolles Lächeln. »Ja, wahrscheinlich. Darin waren wir uns ähnlich.« Sie blickte sich in der Küche um. »Ich glaube, am besten ordnen wir Geschirr, Besteck und so weiter auf der Arbeitsplatte an und lassen den Tisch für das Essen frei. Ist Ihnen das recht?«
Haley nickte, dankbar, dass sie keine Entscheidungen treffen musste. Sie beobachtete Angela bei ihren Verrichtungen, und ihr fiel auf, dass sie eine gutaussehende Frau war, auf klassische italienische Art. Die olivfarbene Haut war ohne Makel, und das lange dunkle Haar umrahmte ihr rundliches Gesicht. Ihre Nase war ziemlich groß, passte aber gut zu den großen Rehaugen und den vollen, sinnlichen Lippen.
»Sie haben einen netten Mann. Ich wette, er ist ein guter Polizist«, sagte Haley.
»Das ist er. Und ein wundervoller Vater und Ehemann. Alle mögen Frank. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen.« Sie beendete ihre Arbeit und setzte sich dann zu Haley an den Tisch. »Frank hat mir erzählt, dass Sie hier einziehen werden. Heißt das, Molly kommt auch zurück?«
»Ja, ich hole sie morgen nach Hause«, antwortete Haley.
Angela schüttelte den Kopf. »Das arme Kind. Und sie spricht immer noch kein Wort?«
»Nicht ein einziges.« Haley nippte an ihrem Kaffee, dann fragte sie: »Wissen Sie, ob Monica sich mit jemandem getroffen hat?«
»Getroffen? Sie meinen, ob sie mit jemandem ausgegangen ist?« Haley nickte. »Nein, soweit ich weiß, hatte Ihre Schwester
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