Nur der Tod sühnt deine Schuld
ihr Gespräch mit Miss Jackson beendete.
Sie ging jetzt ins Büro der Schulleitung, um den Rektor und die Krankenschwester zu informieren. Haley wollte sichergehen, dass alle am selben Strang zogen, wenn Molly am Montag in die Schule kam.
Der Parkplatz hatte sich deutlich geleert, als Haley zu ihrem Wagen ging. Sie fühlte sich gut. Es war ihr gelungen, ohne einen peinlichen Lapsus zu begehen, mit Menschen zu kommunizieren, die wichtig für Molly waren.
Molly würde am Montag wieder zur Schule gehen und sich hoffentlich in Gegenwart ihrer geliebten Miss Jackson und ihrer Klassenkameraden sicher genug fühlen, um endlich wieder zu reden.
Haley war schon fast bei ihrem Auto, als ein Wagen mit quietschenden Reifen über den Parklatz fuhr und ihr dabei so nahe kam, dass sie vor Schreck die Schlüssel fallen ließ und einen Satz nach hinten machte.
Sie war sich nicht sicher, aber sie meinte, den Fahrer zu erkennen: der Nachbar mit dem zu engen Anzug und den schwitzigen Händen. Grant Newton. Was wollte er in der Schule? Er hatte doch gar keine Kinder dort.
Haley hob ihren Schlüsselbund auf, stieg schnell ins Auto und betätigte die Zentralverriegelung. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.
Verdammt, das war knapp. Sie hatte sogar die Motorwärme des Autos gespürt. Zehn Zentimeter weniger, und der Typ hätte sie erwischt. Sie dachte an die schweißnasse, heiße Hand, mit der Grant Newton ihre festgehalten hatte. Der Mann war ihr irgendwie unheimlich.
Ob er sie womöglich beobachtet hatte? Ihr gefolgt war? War er der anonyme Anrufer? Der Spanner am Küchenfenster?
Oder ging ihre Phantasie mit ihr durch? Auf jeden Fall gelang es ihren zitternden Händen erst beim zweiten Anlauf, den Zündschlüssel ins Schloss zu stecken.
Es war fast zehn, als Sondra Jackson die Tür aufschloss und in ihr Haus ging. Sie war völlig erledigt. Gespräche mit Eltern fand sie immer anstrengend, weil eigentlich alle nur hören wollten, dass ihr Kind etwas Besonderes war.
Für Sondra waren alle Kinder etwas Besonderes, aber in den fünf Jahren ihrer Lehrtätigkeit hatte sie nicht mehr als eine Handvoll Kinder kennengelernt, die wirklich außergewöhnlich intelligent waren.
Arme Molly, dachte sie. Molly war eine von Sondras Lieblingsschülerinnen. Sie war klug und voller Lebensfreude. Sondra konnte sich das kleine Mädchen gar nicht stumm vorstellen.
Sie fand es unfassbar, in so jungen Jahren schon beide Eltern verloren zu haben. Sondras eigene Eltern waren in den vergangenen zwei Jahren gestorben, an unterschiedlichen Krankheiten, aber sie hatte eine wunderbare Kindheit voller Liebe und elterlicher Unterstützung gehabt, bevor sie von ihnen Abschied hatte nehmen müssen.
Sondra war froh, dass der Abend vorbei war. Sie sehnte sich nur noch nach einer schönen Tasse Tee und ihrem Bett. Sie ließ die Handtasche aufs Sofa fallen und ging in die Küche.
Das war ihr Lieblingsplatz in dem kleinen gemieteten Haus. Die Vorhänge, auf deren Bordüren sich Sonnenblumen wiegten, und die gelbgestrichenen Wände ließen die Küche immer warm und einladend wirken.
Sondra füllte Wasser in einen alten Teekessel und stellte ihn auf den Herd.
Während sie wartete, holte sie ihre rotgeblümte Lieblingstasse aus dem Küchenschrank, suchte sich einen Beutel Tee mit Erdbeeraroma heraus und schnitt eine Scheibe von einer Zitrone ab.
Sie hatte gerade alles bereitgelegt, als es klingelte. Skeptisch sah sie auf die Uhr. Wer konnte das sein?
Sie eilte zur Tür und öffnete sie. Ihr blieb keine Zeit, ihrer Überraschung Ausdruck zu verleihen. Das Messer traf sie am Hals, so blitzschnell und so tief, dass sie einen Moment brauchte, um zu realisieren, dass sie verletzt war.
Sie taumelte rückwärts und rang nach Luft. Sie konnte nicht atmen! Nicht mehr atmen! Der Boden kam ihr entgegen, und sie verlor das Bewusstsein. Die Fäuste, die auf sie einschlugen, spürte sie nicht mehr, genauso wenig wie sie das Pfeifen des Kessels hörte. Das Teewasser war fertig.
[home]
11
D er Montagmorgen verlief erfolgreich. Haley schaffte es, früh genug aufzustehen, um Molly eine Schüssel Instant-Haferbrei zuzubereiten und dafür zu sorgen, dass die Strümpfe des Mädchens zusammenpassten und Mollys Haar gekämmt war, bevor sie zu den Marcellis hinübergingen. Angela hatte angeboten, Molly zusammen mit ihren Töchtern mit dem Auto zur Schule zu bringen.
Haley hatte Molly mehrmals gefragt, ob sie nicht lieber mit ihr fahren wolle, doch das Mädchen
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