Nur der Tod sühnt deine Schuld
hatte sie jedes Mal nur entgeistert angeschaut. Haley wäre es lieber gewesen, wenn sie ihre Nichte persönlich zur Schule hätte bringen können, aber Molly bestand augenscheinlich darauf, mit Angela und den Mädchen zu fahren. Schließlich hatte Haley nachgegeben.
Angela begrüßte die beiden an der Haustür. Obwohl es noch vor acht war, war Angela Marcelli schon perfekt geschminkt. Sie trug eine gutsitzende beige Hose und eine beige und dunkelbraun gemusterte Bluse. Ihre langen Haare hatte sie zu einem französischen Zopf geflochten, und an ihren Ohren baumelten Creolen aus Gold.
Als Angela sie hereinbat, fuhr Haley sich verlegen mit der Hand durch das ungekämmte Haar. Sie war voll und ganz damit beschäftigt gewesen, Molly zu einem präsentablen Äußeren zu verhelfen. Sie selbst hatte sich nur schnell ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht gespritzt und war dann in T-Shirt und Jogginghose geschlüpft.
»Normalerweise fahren die drei zusammen mit dem Bus«, sagte Angela und griff nach ihrer Handtasche. »Aber heute Morgen habe ich einen Termin, und da dachte ich, ich kann die Kinder genauso gut unterwegs absetzen. Kommt, Mädels. Molly ist da, wir müssen los.«
»Soll ich sie heute Nachmittag von der Schule abholen?«, fragte Haley.
»Nein, sie können den Bus nehmen«, sagte Angela und wandte sich mit einem Lächeln an Molly. »Du kannst doch mit dem Bus fahren, wie sonst auch immer, nicht wahr, meine Süße?« Molly nickte, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als Adrianna und Mary zur Tür gelaufen kamen.
»Der Schulbus hält direkt vor unserem Haus«, erklärte Angela im Hinausgehen. »Normalerweise sind sie nachmittags um Viertel vor vier wieder hier. Okay, Kinder, einsteigen«, sagte sie jetzt und zeigte auf den Minivan in der Einfahrt.
Als die drei Mädchen auf den Rücksitz kletterten, lächelte Angela Haley zu. »Sie sollten den freien Tag genießen. Nicht mehr lange, und die Kinder haben Sommerferien.«
»Erinnern Sie mich nicht daran«, sagte Haley, die den Gedanken äußerst beunruhigend fand. Es war schon schwierig genug gewesen, das Wochenende zu überstehen. Die Stunden waren nur so dahingekrochen, angefüllt mit Stille, abgesehen von den Geräuschen, die aus dem Fernseher kamen.
Haley hatte ein fröhliches Gesicht aufgesetzt und Witze gemacht, sie hatte förmlich auf dem Tisch getanzt, um Molly zu zeigen, dass sie sich keine Sorgen machte und alles unter Kontrolle hatte.
Haley sah zu, wie Angela auf der Fahrerseite einstieg, winkte und losfuhr. Auf einmal verspürte sie den Drang, hinter dem Auto herzulaufen und darauf zu bestehen, dass sie Molly selbst in der Schule ablieferte. Aber dann dachte sie an Mollys Reaktion, als sie den Vorschlag gemacht hatte, und ließ die Idee fallen. Vielleicht war es am besten, die gewohnten Abläufe möglichst wenig zu verändern.
Zurück im Haus, ging Haley auf direktem Weg in Mollys Zimmer. Sie ließ sich auf die Kante des ungemachten Bettes sinken, griff nach Mollys geliebtem Plüschlöwen und drückte ihn an sich.
Elf Tage. Vor elf Tagen war Monica umgebracht worden. Manchmal kam es Haley so vor, als hätten die Cops in Las Vegas ihr erst vor wenigen Minuten die Todesnachricht überbracht. Und dann hatte sie wieder das Gefühl, dass es schon eine Ewigkeit her war.
Elf Tage, in denen es offenbar niemand auf Molly abgesehen hatte. Kein wahnsinniger Mörder hatte versucht, an die kleine Zeugin heranzukommen, die unter dem Bett ihrer Mutter gelegen hatte, als der Mord passierte. Der Polizei war es zwar bis jetzt gelungen, Mollys Anwesenheit zur Tatzeit aus den Medien herauszuhalten, aber das hieß nicht, dass niemand davon wusste.
Fast jeder, mit dem Haley nach der Beerdigung und auf dem Elternabend geredet hatte, wusste, dass Molly zur Tatzeit zu Hause gewesen war und seitdem nicht mehr sprach. Haley schloss daraus, dass der Mörder entweder glaubte, Molly habe nichts gesehen, oder dass er sich sicher fühlte, weil das Kind verstummt war.
Beim Gedanken an die Polizei stand Haley auf, machte schnell Mollys Bett und ging dann in die Küche, um wieder bei Tolliver anzurufen.
Sie hatte immer noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm über die Möglichkeit zu sprechen, Molly schriftlich antworten zu lassen. Was seine Reaktion auf ihren Anruf anging, vermutete Haley, dass Tolliver annahm, sie wollte sich auf den neuesten Stand bringen lassen, und indem er nicht zurückrief, ließ er sie wissen, dass es nichts Neues gab.
Als Haley auch diesmal nur
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