Nur der Tod sühnt deine Schuld
für diejenigen, die zurückblieben, weiterging. Eines Tages würden Molly und sie wieder lachen können, vielleicht sogar glücklich sein. Monica hätte sich das für ihre Schwester gewünscht, und noch mehr für ihre Tochter. Monica hätte Grey Banes gemocht.
Haleys Gedanken wanderten erneut zu ihrer Verabredung mit Grey. Er hatte markante Gesichtszüge und ein ausgeprägtes Kinn, was Haley immer schon anziehend gefunden hatte. Sie mochte den Humor, der gelegentlich aus seinen Augen blitzte, und sie war genauso fasziniert von dem Schwermütigen, das er manchmal ausstrahlte.
Nur nichts überstürzen, ermahnte sie sich. Sie wusste, dass sie zurzeit verletzlich war, noch ganz benommen von dem Geschehen und so allein wie nie zuvor. Es wäre dumm gewesen, sich auf einen Mann einzulassen, den sie kaum eine Woche kannte.
Als sie sich der Schule näherte, schob Haley die Gedanken an Grey beiseite. Der Parkplatz des eingeschossigen Backsteinbaus stand voller Autos. Haley fand noch eine Lücke ganz am Rand.
Das Aufprallen eines Balls und das Geschrei junger Männer auf dem benachbarten Basketballplatz begrüßte sie beim Aussteigen. Es mussten an die zwölf Jugendliche sein, unter denen sie Dean Brown erkannte.
Als sie Richtung Schule ging, entdeckte sie ein paar Meter vor sich Frank Marcelli. »Frank!«
Er blieb stehen und drehte sich um. Ein Lächeln huschte über sein klassisch geschnittenes Gesicht. »Haley.« Er wartete, bis sie ihn eingeholt hatte. »Wie geht es Ihnen?«
»Ich schlage mich so durch.« Es war komisch: Frank Marcelli sah genauso gut aus wie Grey, aber er verursachte ihr keine Schmetterlinge im Bauch. Nichts an dem gutaussehenden Detective rief diese leicht atemlose Erwartung hervor, die Dr.Greyson Banes in ihr weckte. »Bei Ihnen irgendwas Neues?«
Frank war klar, dass sie nicht nach einem neuen Auto oder einem neuen Problem fragte. Sie wollte wissen, ob es in dem Fall etwas Neues gab, in Monicas Fall. »Nichts Konkretes.« Marcellis Frustration kam in der knappen Antwort deutlich zum Ausdruck.
»Gehen Sie oft zu so was?« Haley zeigte auf das Schulgebäude.
»Ein paarmal im Jahr – seit Adrianna und Mary in der Schule sind. Angela kümmert sich sonst um fast alles, aber sie besteht darauf, dass ich, wann immer möglich, bei den Elternabenden dabei bin.«
Sie traten durch die Eingangstür. Es roch nach Kreide, Bohnerwachs und Kaffee. Haley blieb stehen, unsicher, in welche Richtung sie gehen sollte.
»Kommen Sie einfach mit mir«, sagte Frank, dem ihr Zögern nicht entgangen war. »Adrianna und Molly sind in derselben Klasse.«
Obwohl es lächerlich war, wegen der Begegnung mit Sondra Jackson nervös zu sein, war Haley ein absolutes Nervenbündel. Was, wenn Miss Jackson sie nicht leiden konnte? Was, wenn Haley irgendetwas sagte oder tat, was die Situation für Molly nur noch schwieriger machte?
Haley hatte sich nie sonderlich viele Gedanken darüber gemacht, was andere über sie dachten. Als sie einmal begriffen hatte, dass sie die Erwartungen ihrer Mutter niemals erfüllen konnte, war es auch nicht mehr wichtig, die anderer Menschen zu erfüllen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben durfte sie nicht mehr nur an sich selbst denken, und sie wollte um Mollys willen unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen.
In den Gängen wimmelte es von Eltern. Haley wünschte, sie hätte sich nicht für Jeans entschieden, und vor allem nicht für die mit Sonnenschirmen, Palmen und Margarita-Gläsern bedruckte Bluse, die ihr ein Freund in Vegas geschenkt hatte. Dummerweise kam Kleidung, die in Vegas wunderbar passte, in einer konservativen Kleinstadt im Mittleren Westen bei weitem nicht so gut an.
Du musst die Dinge richtig machen, Haley.
Monicas Stimme ertönte leise in Haleys Kopf.
Streng dich an.
Ich muss mich auf dich verlassen können.
»Ich versuch’s ja«, murmelte Haley und errötete, als Frank sie ansah. »Ich führe nur Selbstgespräche.«
»Wir sind da«, sagte er und blieb vor einem Klassenraum stehen. »Raum 112 , die Drittklässler von Miss Sondra Jackson.« Er lächelte Haley aufmunternd zu. »Schauen Sie nicht so verängstigt. Sie ist sehr nett, und sie liebt die Kinder.«
Haley schenkte ihm ein dankbares Lächeln, und gemeinsam betraten sie den Raum. Es war nicht zu übersehen, warum die Kinder Miss Jackson mochten. Sie war eine zierliche Blondine mit großen blauen Augen, die man leicht für ein zwölfjähriges Mädchen hätte halten können. Sie saß an ihrem Pult und sprach mit einem
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