Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
Zeit wollte er zu einer kleinen Analyse der Lage der Dinge benutzen.
Paul Katz, was war Paul Katz für ein Mensch. Er war kein Mensch, den Skandale umgaben. Er erinnerte vielmehr an Mutters guten Jungen, immer die Hände gewaschen, immer das Haar ordentlich gekämmt, die Fingernägel sauber, so kam er früher an den Tisch, heute an den Konferenztisch. Paul gab sich als der gute Junge von nebenan, der immer fair sein wollte, selbst im Dschungel der Interessenskonflikte. Er trug Verantwortung, musste seine Position ausfüllen. Das war er seinem Arbeitgeber und seiner Familie schuldig. Mehr als ein paar höfliche Worte für das Schicksal anderer konnte auch er nicht geben, leider. Soll
der eigene Sohn auf eine bessere Universität gehen, ging der eigene Job vor. Eine falsche Entscheidung, eine, die das Geld der Firma kostete oder die Firma zeitlich zurückwarf, was noch mehr Geld kostete, und man selbst geriet in den Strudel. Man musste gute Arbeit leisten, die Interessenslagen richtig einschätzen und höflich bleiben, dann konnte nicht allzu viel passieren. Zumindest nicht der eigenen Firma.
Dennoch war es die Idee dieses guten Mensch gewesen, die die größte Unruhe bei den europäischen Smith, Henderson Agenturen ausgelöst hatte: der Tausch der eigenen Firmenanteile, das Geld aus eigenen Händen und Köpfen erworben, gegen Anteile an der Europa-Holding, sprich das zusammengewürfelte Geld aller aus nicht kontrollierbaren Händen und Köpfen. Chuck war begeistert gewesen, er war kein Zahlenmensch, aber für ihn machte ein vereintes Europa der Smith, Henderson Agenturen Sinn, sehr viel Sinn. Paul Katz sah mehr die Zahlen, Chuck sah das Ende all der Querelen, New York bestimmte die Richtlinien und Basta.
Paul Katz war, auch was sein Privatleben anging, vorbildlich. Er hatte seine Ehe im Griff, seine Frau war rechtschaffen und bodenständig. Seine Kinder folgten. Er hatte nie zu hohe Hypotheken auf seinem Haus, er fuhr ein gediegenes Auto. Paul war kein Abenteurer wie Harry.
Harry, der charmante Harry, hatte erst vor kurzem Mrs. Miller die Vierte zum Standesamt geführt und tauchte regelmäßig in den Klatschspalten der Skandalpresse auf. Harry nahm das Ganze gelassen hin, er kannte keine Krisen. „Mein ganzes Leben ist eine Krise“, pflegte er zu scherzen.
Paul und Harry hatten kein sonderlich wasserdichtes Alibi, beide waren am Spätnachmittag für das Meeting am darauffolgenden Tag eingeflogen. Beide waren im Hotel gewesen und hatten ihren Jetlag ausgeschlafen, der Portier hatte nicht gesehen, dass einer der beiden das Hotel verlassen hatte, aber weit wichtiger war, beide hatten kein Motiv. Zumindest kein Motiv, das er kannte. Die Smith, Henderson hätte sich von Piet Drachmann durch einfache Kündigung des Vertrages trennen könne. Der Spaß hätte sie im Höchstfall 120.000 Dollar gekostet, die Anteile von Drachmann hätten sie obendrauf bekommen.
Ken Bernsteins Gedanken richteten sich wieder auf die Hauptverdächtigen der ersten Stunde. Alle drei hatten ein Motiv und kein Alibi. Ehefrauen waren schließlich das schlechteste Alibi, das ein Mann haben konnte. Singles waren in einer noch misslicheren Lage.
Nochmals studierte er den Ablauf der Dinge, den er gestern spätabends zu Papier gebracht hatte.
April 2012: Verlust des VMC Kunden ALC Yachting
31. Mai 2012: Villepin verlässt die Agentur. Er hat keine Sperrklausel für Kunden der VMC Smith, Henderson. Smith Henderson hält jetzt 51% der Agentur.
17. Juni 2012: Eröffnung der Werbefestspiele.
Smith, Henderson legt seinen europäischen Partner einen Beteiligungsplan an einer Europa-Holding vor. Anne-Sophie Marrais und Bernard Cabernet zeigen keine Bereitschaft, den Plan zu akzeptieren. Julien Villepin hatte bereits gekündigt und mit Smith, Henderson abgerechnet
22. Juni 2012: Piet Drachmann Paul Katz, Paolo Calvin, Anne-Sophie Marrais, Bernard Cabernet, Ted Ambers – Halbjahresbilanz, Drachmann schlägt eine Gehaltskürzung der Gesellschafter vor. Was war der wahre Grund? Vermeidung von roten Zahlen oder die Geschäftsführer und Gesellschafter preiswerter los zu bekommen?
Bernard Cabernet kündigt aus freien Stücken – Marrais wird auch gehen müssen, aber später, will, dass Smith, Henderson nicht so billig davonkommt. Smith Henderson hält jetzt 63 % der Agentur.
23. Juni 2012 Drachmann tritt als Geschäftsführer zurück, beschränkt sich auf den Posten des Internationalen Koordinator, ist bereit, seine Anteile
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