Nur dieser eine Sommer
du dir mal eine Minute Zeit und überlegst, was für dich selbst am besten ist. In deinem Leben läuft etwas schief, und das solltest du jetzt wieder geradebiegen. Du musst mit deiner Mutter sprechen, um eurer beider willen. Und sobald du mit ihr geredet hast, ist Brett dran!“
Cara fuhr sich mit den Fingern durchs feuchte Haar und atmete ein paarmal tief durch. „Ich kriege keine Luft. Bestimmt deshalb, weil der Sturm näher kommt!“
„Nein, du hast Angst. Hab ich alles schon erlebt.“
„Ach, Emmi!“ erwiderte Cara und lehnte sich an die breite Schulter ihrer Freundin. „Was würde ich bloß ohne dich anfangen?“
Emmi seufzte. „Ich muss zugeben, ich wüsste auch nicht, wie ich ohne dich diesen Sommer überstanden hätte. Unsere Nachtwachen an den Nestern, die Gespräche über das Theater mit Tom – all das hat mir sehr geholfen. Mit anderen konnte ich mich ja nicht darüber unterhalten. So ein Geheimnis mit sich herumzuschleppen und es mit niemandem teilen zu können kann einen ziemlich isolieren.“
Sie wechselten einen Blick und lächelten einander an.
„Du bist für mich wie eine Schwester“, stellte Emmi fest.
„Mir geht es mit dir genauso“, lachte Cara.
Sie setzte ihr Glas ab, stand auf und begab sich zum äußersten Ende der Veranda. „Der Sturm soll nur kommen!“ schrie sie in Richtung Ozean. „Wir stehen das gemeinsam durch!“ Lachend wandte sie sich zu ihrer Freundin um.
Emmi saß da und machte ein merkwürdiges Gesicht, halb Grimasse, halb Lächeln. Cara schwante nichts Gutes.
„Ich wollte es dir schon die ganze Zeit verklickern“, begann Emmi. „Ich habe mich entschlossen, meine Zelte hier abzubrechen und mich unverzüglich auf den Heimweg zu machen. Zurück nach Atlanta, bevor der Sturm losbricht.“
Cara war, als hätte sie gerade ein Hurrikan der Kategorie vier umgeworfen. „Du reist ab? Schluss für diese Saison? Aber ich dachte, du wolltest bis nach Erntedank bleiben!“
„Gestern Abend rief Tom an. Sein Projekt in Peru ist vorzeitig abgeschlossen. Er kommt in zwei Wochen heim. Er klang auch tatsächlich so, als freue er sich darauf und könne es kaum erwarten, mich wiederzusehen.“ Sie schüttelte den Kopf und stieß ein verlegenes Lachen aus. „Ich war so durcheinander wie ein Schulmädchen.“
Cara starrte sie sprachlos an.
„Ach, nun guck mich nicht so an, Mensch“, jammerte Emmi. „Ich weiß, ich nehme mir immer wortreich vor, ihn zu verlassen. In Wirklichkeit schaffe ich es nie. Jetzt sind wir zwanzig Jahre zusammen, und die meisten davon waren gar nicht so übel.“
„Und dass er hin und wieder nach anderen schielt, was ist damit?“
Emmi wich Caras forschendem Blick aus.
„Du kannst schließlich nicht immer die Augen davor verschließen.“
„Nee, echt nicht“, gab sie ernüchtert zu. „Du hast mir beigebracht, dass ich nicht den Kopf in den Sand stecken darf. Also: kein Versteckspiel mehr. Ich werde ein ernstes Wörtchen mit ihm reden, sobald er wieder da ist.“
„Wirklich?“
Emmi verzog das Gesicht. „Versteh doch, Cara! Tom ist nicht ein bloßer Sommerflirt für mich. Ihn gibt es das ganze Jahr, jedes Jahr, immer und ewig. Er ist mein Mann. Wir haben uns Treue gelobt, wie du schon so richtig sagtest. Ich liebe ihn zu sehr, als dass ich ihn ziehen lassen könnte. Und nachdem ich den ganzen Sommer allein war, will ich lieber mit ihm als ohne ihn leiden. Ich bin anders als du. Selbst als wir Kinder waren, musste ich mich immer sehr anstrengen, um mit dir Schritt halten zu können. Du verfügst über mehr innere Stärke als ich. Ich tauge nicht zum Alleinsein.“
Cara war fassungslos. Alle verlassen mich, dachte sie, folgen ihrem Mann, ihrem Beruf, sterben oder müssen sich um ihr Baby kümmern. „Du wirst mir fehlen“, verkündete sie traurig.
Emmi nickte betreten. Cara vermutete, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie die Freundin aus Kindertagen im Angesicht des drohenden Sturms allein ließ. Als Emmi sie in ihre warmen, mütterlich-schwesterlichen Arme schloss, wollte Cara sie am liebsten gar nicht mehr loslassen.
„Erntedank komme ich wieder“, flüsterte Emmi ihr ins Ohr. „Versprochen! Dass du dann aber hier bist! Dinner bei mir! Punkt drei Uhr. Keine Ausreden!“
„Ich werde da sein“, wisperte Cara zurück.
Dann löste sie sich aus Emmis Armen, wischte sich über die Augen und blickte zum Horizont. Wolken waren aufgezogen. Die beiden Freundinnen guckten sich schweigend an und seufzten. Sie wussten, was
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