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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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Gestrüpp stolperte. Sonst hätte sie womöglich die ganze Nacht mit gebrochener Hüfte hier draußen liegen müssen. Palmer wäre mit Sicherheit ausgerastet!
    Sie stieg hinauf auf die höchste Stelle der Düne. Bis hierher erstreckte sich der Strand. Oben angekommen, ließ sie sich dankbar auf die Knie fallen. Von dem bisschen Klettern war ihr schon ganz warm geworden. Wie beschwerlich doch das Alter sein konnte! Früher, da war sie denselben Pfad entlanggerannt, dann quer über den Strand gespurtet, hatte sich anschließend kopfüber in die Wellen gestürzt und war ein paar kräftige Züge geschwommen, und das alles, ohne auch nur einmal verschnaufen zu müssen. Sie legte die Hand auf die Brust und lachte still in sich hinein. Gütiger Himmel! So lange schien das alles noch gar nicht her zu sein!
    Sie streifte ihre Turnschuhe ab, grub die Zehen tief in die kühle Düne, spreizte dann die Finger und steckte auch sie in den Sand. Dies war ihr Lieblingsplatz. Nahezu endlos konnte sie auf diesem Fleckchen hocken und sich all dem verbunden fühlen, was ihr lieb und teuer war: dem Meer, dem Strand, diesem Boden. Hier fühlte sie sich Russell sehr nah.
    Sie ließ sich rücklings in den Sand sinken, schloss die Augen und stellte sich vor, noch einmal in Russells Armen zu liegen. Je älter sie wurde, desto leichter fiel es ihr, seine Gegenwart zu spüren – ein Spiel, das sie sich in jüngster Zeit häufiger gestattete. Es schadete doch nichts! Falls es ein Zeichen von Senilität sein sollte – na und? Wahrscheinlich würde sie längst tot sein, bevor die Umnachtung voll und ganz einsetzte. Außerdem tat ihr das Spiel viel zu gut, als dass sie ihm hätte widerstehen können.
    In Gedanken ruhte sie wie einst mit Russell auf der alten schwarzrot karierten Decke, die sie immer zu diesen Dünen-Rendezvous aus dem Strandhaus mitgebracht hatte. Damals war Russells Haar derart blond gewesen, dass es sich von seiner Haut, die durch stundenlange Naturforschung in der Sonne so naturbraun wie gegerbtes Leder geworden war, fast weiß abhob. Und seine Haut hatte sich sowohl weich als auch stellenweise schwielig angefühlt. Daran konnte sie sich noch erinnern. In jenen Tagen war ihre eigene Haut samtweich und geschmeidig gewesen; tagsüber hatte sie das lange, dichte Haar zu einem Zopf geflochten getragen. Doch nachts löste Russell sanft die Flechten, bis ihr Haar sich lose über die Decke fächerte.
    Sie war erst 39 gewesen, er 41. Sie hatte sich an ihn geklammert, denn sie wusste, ihnen blieb nur dieser eine kostbare goldene Sommer. Sie waren beide verheiratet, hatten Familie, gesellschaftliche Verpflichtungen – Zwänge, denen sie sich nicht entziehen konnten und wollten, so verlockend der Gedanke auch sein mochte. Von Anfang an war beiden klar, dass die Beziehung den Herbst nicht überdauern würde.
    Dieses Fleckchen Düne auf diesem menschenleeren Streifen Insel war ihre Oase gewesen. Damals hatten noch keine Gebäude dies Refugium überragt; der Mond war das einzige Licht, das Rascheln des Strandhafers der einzige Laut ringsum gewesen. Über die Liebenden hatten die Sterne gewacht und verständnisvoll gefunkelt. Lovie musste nur ganz fest die Augen schließen, um sich vorzustellen, mit Russell zusammen zu sein. Und wenn sie alle störenden Gedanken ausblendete, dann meinte sie sogar, seine Stimme zu hören – mit dem melodischen Südstaatenakzent, der ihr so süß in den Ohren klang.
    „Ich weiß weder aus noch ein, Russell“, sagte sie laut. „Hast du mitbekommen, worüber Palmer mit mir gesprochen hat? Er eröffnete mir, wie viel dieser Grund und Boden jetzt wert ist. Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen, dass er mal so wertvoll sein könnte! Du erinnerst dich sicher, dass mir das Land hier in all den Jahren Trost spendete, in denen ich einsam und ohne Liebe lebte. Hier kann ich dir nah sein. Nie und nimmer würde ich dieses Fleckchen Erde aufgeben. Doch meine Zeit ist abgelaufen. Ich werde diese Welt bald verlassen. Was soll also mit diesem Land geschehen? Ich muss mich entscheiden. Mein Sohn möchte dieses Grundstück hier erwerben. Er hat keine Ahnung, dass es mir gehört. Glaubst du, ich sollte ihn darüber informieren? Er würde es bestimmt im Handumdrehen verkaufen – und mit Kusshand! Es bräche mir zwar das Herz, aber es würde eine Menge Geld einbringen. Überleg doch mal, was ich mit so viel Geld anfangen könnte!“
    Was würdest du denn damit machen?
    „Ach, wenn ich nur jung genug wäre, dann würde ich

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