Nur dieser eine Sommer
gleißende, rosafarbene Lichtsäulen durch bläulich schattierte Wolken. Caras Stimmung hob sich, als sie langsam ihren Laufrhythmus fand. Seit einer Woche drehte sie nun regelmäßig an diesem Uferabschnitt ihre Runde. Anfänglich war sie schnell außer Atem geraten und hatte unwirsch vor sich hingegrummelt, dass sie sich dies alles nur um ihrer Mutter willen antat. Doch als die Woche zu Ende gegangen war, hatte sie begriffen, dass dieser morgendliche Lauf vor allem ihr selbst zu mehr Wohlbefinden verhalf. Mit jedem Tag fühlte sie sich besser. Notebook samt E-Mails kamen ihr immer weniger wichtig vor, und sie merkte, dass Fitness und Energie zurückkehrten.
Und jeden Tag machte Lovie sie mit neuen Sachen vertraut. In der zurückliegenden Woche hatte Cara zahlreiche Dinge zum ersten Mal tun müssen: Spuren vermessen, Eier zählen, die wichtige Kunst erlernen, ein Gelege umzubetten. Sie hatte auch beigebracht bekommen, wie man eine Brutgrube mit Holzpflöcken und orangefarbenem Trassierband markiert und absperrt, um sie vor der Zerstörung durch Spaziergänger oder Radfahrer zu bewahren.
Nach Ablauf einer Stunde war Caras Patrouille beendet. Heute gab es keine Spuren zu vermelden. Mittlerweile spazierten einige Frühaufsteher und Muschelsammler über den Strand. Zahlreiche hellgraue Gespensterkrabben krabbelten hurtig in ihre Verstecke, als Cara vorbeilief. Sie rechnete damit, dass einige andere Aktivistinnen jedoch Spuren entdeckt haben würden. Garantiert klingelte das Telefon, sobald sie zu Hause eintraf, und jemand teilte ihr mit, er habe eine interessante Entdeckung gemacht. Dann hieß es, erneut aufbrechen, um zu untersuchen, ob diese Spuren zu irgendwelchen Gelegen führten. So sah inzwischen Caras morgendliches Pflichtprogramm aus.
Es überraschte sie, wie viel Gefallen sie daran fand. Innerhalb von weniger als einem Monat hatte sich ihr Leben grundlegend verändert. Zahlreiche Dinge, die sie bislang für fundamentale Bestandteile ihres Daseins gehalten hatte, stellte sie nun in Frage. Sie war in der Annahme aufgewachsen, sie könne von ihrer Mutter nichts lernen, doch in wenigen Wochen hatte sie erkannt, dass Lovie ihr sehr wohl eine Menge vermitteln konnte.
Am Strandhaus angekommen, zog sie ihre Laufschuhe aus. Und als das Summen ihrer Mutter durch das offene Fenster drang, da ahnte Cara, dass die Schildkröten zum ersten Mal im Leben keine Trennung zwischen ihr und ihrer Mutter darstellten, sondern eine Verbindung, ein Band.
Es war Mitte Juni, halb sechs an einem kühlen, bedeckten Abend. Dunleavys Kneipe war gerammelt voll. Auch draußen an den Tischen mit den Sonnenschirmen drängelten sich Einheimische und Touristen. Männliche und weibliche Gäste mit Hund spazierten suchend hin und her und erinnerten Cara an eine Clique von Halbstarken, die ziellos mit dem Auto durch die Gegend kutschierten. Cara und Emmi visierten einen kleinen Holztisch in einer Ecke an und kamen in letzter Sekunde einem Gast zuvor, der einen riesigen Labrador dabeihatte. Es ging ziemlich knapp zu, doch der Vierbeiner zerrte an der Leine, um den Pudel auf dem Schoß einer Dame zu beschnüffeln, und diesen Vorteil nutzten Emmi und Cara blitzschnell aus. Sie bestellten sich ein Bier mit einem Spritzer Limonensaft sowie Hähnchenflügel, scharf gewürzt, und ließen sich schon nach kurzer Zeit von der entspannten Atmosphäre und der Musik gefangen nehmen.
Cara hatte vergessen, wie lustig Emmi sein konnte und wie wohl es tat, einmal herzhaft lachen zu können, ohne auf Gäste am Nebentisch zu achten. Nach einer so langen Zeit von rein beruflichen Bekanntschaften musste sich Cara erst an diese Art von Verhältnis gewöhnen. War sie mit Kolleginnen oder Kollegen oder mit der Kundschaft unterwegs gewesen, hatte sie sich stets konzentrieren müssen, auch wenn die anwesenden Personen sich recht ungezwungen benommen hatten. Immer hatte sie einen Vorrat von schlagfertigen Sprüchen auf Lager gehabt und eine geradezu meisterhafte Fähigkeit entwickelt, nur so viel an persönlichen Informationen preiszugeben, um nicht verschlossen zu wirken, aber dennoch das wirklich Entscheidende für sich behalten zu können.
In Emmis Gegenwart jedoch brauchte man sich nicht zu überlegen, was man sagte. Sie und Emmi verband vielmehr eine gemeinsame Vergangenheit und eine große Zuneigung zueinander.
Nachdem sie die Hähnchenflügel mit großem Appetit gegessen und sich eine zweite Runde Bier bestellt hatten, lehnte Emmi sich über den Tisch zu ihrer
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